Dafür wurde lange gefochten: Die Anwesenheitspflicht für Univeranstaltungen ist von Gesetzes wegen abgeschafft. Der AStA, die Fachschaften und alle Studierenden jubeln und feiern – Denkste! Eine nicht unbeträchtliche Zahl von HochschülerInnen sieht diese Errungenschaft für ein selbstbestimmtes Studium kritisch und will die Pflicht zur physischen Präsenz zurück. Im Folgenden werden die drei häufigsten Argumente für den Anwesenheitszwang beschrieben und begründet, warum sie Schwachsinn sind. Denn keine Anwesenheitspflicht bedeutet nicht Abwesenheitspflicht!
„Manche Kurse sind ohne Anwesenheitspflicht nicht schaffbar.“
Wer so argumentiert, müsste konsequenterweise auch behaupten, dass man verhungern müsste, wenn es keinen Mensazwang gibt. Denn erstens gibt es nicht nur einen Ort und eine Möglichkeit, (geistige) Nahrung zu sich zu nehmen, und zum anderen benötigen wir alle unterschiedlich große Portionen. Das Seminar oder die Übung sind Angebote der Wissensvermittlung. Man kann dieses Angebot ganz annehmen oder nur in Teilen. Der Dozent oder die Dozentin stellen zum Beispiel gerne Literaturlisten zur Verfügung, dann kann man sich zu Hause, unterwegs, nachts das geforderte Wissen aneignen. Wer meint, auf diese Weise nicht alle wichtigen Informationen zu lernen, kann die Veranstaltung besuchen.
„Dann kommt jedeR nur zu seinem Referat in den Kurs und man sitzt mit drei Leuten da.“
Ist doch fabelhaft. In kleinen Gruppen lernt es sich besser als in Seminaren zu 50 TeilnehmerInnen. Abgesehen davon hören Dir bei Deinem Referat ohnehin höchstens drei Menschen zu – ganz egal, wie viele Menschen im Raum sitzen.
Vielleicht bringt eine solch schwache Resonanz die Dozierenden auch mal dazu, ihr didaktisches Konzept zu überdenken. Wer Wissen spannend und anschaulich vermitteln kann, wer für lebhafte Diskussionen sorgt und wer das Interesse an einem Thema zu wecken vermag, der oder die braucht leere Hörsäle und Seminarräume nicht zu fürchten! (Das gilt im Übrigen auch für Deine Referate!)
„Anwesenheit wird doch kreditiert – jetzt müssen wir sicherlich den einen CP durch Essays oder so kompensieren.“
Das würde ja bedeuten, dass das abgeschlossene Studium ein Zeugnis für Fleiß und Kompetenz wäre! Auf einmal müsste man ja ganz andere Fertigkeiten erwerben als möglichst unauffällig sein Handy unter dem Tisch zu benutzen. Womöglich hätten diese Skills auch noch etwas mit dem Fach zu tun, das zu studieren Du Dich freiwillig entschlossen hast!
Ganz ehrlich: Die meisten von uns sind faul und würden das Studium gerne so mühelos wie möglich hinter uns bringen. Aber es kann nicht schaden, wenn man aus diesem Studium auch irgendetwas mitnimmt. Und wenn es die Fähigkeit ist, sich morgens aus dem Bett zu schälen und zur Uni zu fahren, auch wenn man nicht muss.
:Marek Firlej
2 comments
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Wie gehen wir an unser Studium ran? Was für Bildung wollen wir?
Lieber Autor,
du hast Recht – zumindest stellenweise.
Ich sehe den Wegfall der Anwesenheitspflicht ebenfalls kritisch, aber das liegt wohl an einer grundsätzlich anderen Wahrnehmung der Universität. Mein Eindruck ist, dass in Zeiten, in denen ein Jeder das Abitur bekommt (v.a. in NRW) und die Abiturienten meinen, sie gehörten dann auch zwangsläufig an die Uni (die Gründe dafür sind nicht immer rational), sich ein neuer Typus des Studenten und eine neue Definition von Bildung herauskristallisiert.
Die Uni ist kein Ort humboldtscher Bildung mehr, es wird auf dem bequemsten Wege nach einem Abschluss gestrebt. Wo ist noch der große Unterschied zu einer Ausbildung oder gar der Schule?
Viele Studenten begrüßen den Wegfall nicht, weil damit eine unnötige Bevormundung wegfällt – ein respektabler Grund-, sondern weil noch eine Schranke wegfällt und das Studium nach der Devise des bequemsten Weges noch weiter erleichtert wird.
Dieser Typ des Studenten hat die Seminare ohnehin nur abgesessen. Das spricht für dein Argument, dass physische Anwesenheit alleine nicht ausreicht. Bedeutet aber nicht, zumindest nicht für alle, dass die Uni damit weniger verschult sei, denn dein Argument lautet ja, dass damit der Gedanke der Eigenverantwortungen gesteigert würde. Bei dem skizzierte Studententypus -schnell und bequem zum Abschluss und rein in eine Welt, die nur auf mich wartet- wird nur der Gedanken eines gelangweilten Schuljungen in der Projektwoche geweckt: Es wird die Anwesenheit nicht kontrolliert? Warum soll ich dann kommen?
Dein Mensabeispiel hakt an einer Stelle. Wenn die Studenten in der Uni nicht essen, kann man sicher sein, dass sie es an anderer Stelle tun. Sich an anderer Stelle zu bilden, ist keine physische Notwendigkeit.
Es geht mir und auch anderen Kritikern also um einen gewissen Bildungsbegriff – welche Geisteshaltung zeigt sich darin, dass man darüber jubelt, dass man nicht mehr zu Uni muss?
Für alle, die darüber aus den beschriebenen Gründen begeistert sind: Es hat euch nie jemand zum Besuch einer Universität gezwungen.
Angesichts dessen reicht dein letzter Abschnitt zur Beruhigung nicht aus.
Humboldt ist lange tot, insbesondere in Zeiten der Massenuniversität, aber bedauern darf man diese Entwicklung wohl noch.
Herzlichst
M. Schnippering
Elitäres Gesäusel, ich hör Dir trapsen…
Lieber Marek, danke für Deinen Artikel, auch wenn ich das eine oder andere Beispiel anders gewählt hätte. Mir geht es extrem auf die Nerven, dass hier immer so getan wird, als habe Svenja hier ein Anwesenheitsverbot in Seminaren ausgesprochen! Und das widerlegst Du schlüssig und mit der nötigen Schärfe in der Formulierung.
Und zu Herrn oder Frau Schnippering: In der Kritik der Massenuniversität sind wir uns ja noch einig. Da müsste man aber an einem anderen Punkt ansetzen, nämlich der Bologna Reform und der Verschulung und Bürokratisierung des Studiums durch B.A. und M.A.. Aber geschenkt.
Bei der Anwesenheitspflicht geht es doch vor allem darum, dass sie nie vorgesehen war und nur durch eine ungenaue Gesetzesformulierung von CDU und FDP überhaupt massenhaft Anwendung fand – in den letzten paar Jahren. Die Anwesenheitspflicht ist eine soziale Schranke für das Studium, weil der finanziell schwache Student keine Möglichkeit hat, gleichzeitig im Seminar und auf Arbeit zu sein. So entkernt lautet das Argument nicht „Anwesenheitspflicht rettet Humboldt“ sondern „Anwesenheitspflicht hält mir die Arbeiterkinder von der Uni fern!“. Humboldt hatte – ebenso wie 100% unserer Professoren und Dozenten – keine Anwesenheitspflicht. 🙂