Nachdem sich die schwarz-gelbe Koalition im vergangenen Jahr nicht mit den Ländern auf ein Gesetz zur Regelung der umstrittenen Schiefergasförderung einigen konnte, wagt Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nun im Schatten der Fußballweltmeisterschaft und des heiß diskutierten Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten einen erneuten Vorstoß: Noch vor der Sommerpause des Deutschen Bundestages plant Gabriel, einen entsprechenden Gesetzesentwurf ins Kabinett einzubringen. Dieses Vorhaben stößt bundesweit auf Widerstand und Empörung – zumindest bei Vielen, die diese Meldung abseits des WM-Fiebers erreicht hat.
57 Sekunden brauchte der Deutsche Bundestag während der Fußball-Europameisterschaft am 28. Juni 2012, um ein neues Meldegesetz zu verabschieden. Während rund 28 Millionen (deutsche) TV-ZuschauerInnen das dramatische Spiel der deutschen Nationalmannschaft gegen Italien verfolgten, entschieden rund 30 Abgeordnete über eine drastische Verschärfung des Meldegesetzes. Kern des „neuen Meldegesetzes“ war, dass Behörden und Ämter Daten von Bürgerinnen und Bürgern an Firmen verkaufen durften – und das ohne Einwilligung der betroffenen Personen. Erst eine durch den Bundesrat korrigierte Fassung konnte selbigen im Februar 2013 passieren – diese sah vor, dass die Meldebehörden Namen und Adressen nur bei einer ausdrücklichen Zustimmung seitens der Betroffenen an Unternehmen veräußern durften.
Ein weiteres Beispiel für die parlamentarische Finesse, umstrittene Gesetze während großer Sportevents durch den Bundestag zu bringen, ist die bisher größte Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik. Während der Fußballweltmeisterschaft 2006 beschlossen Union und SPD eine Anhebung der Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent. Diese Meldung ging im Taumel des damaligen Turniers genauso unter wie die Anhebung des Beitragssatzes zur gesetzlichen Krankenkasse während der Fußballweltmeisterschaft 2010 in Südafrika.
Eine ähnliche Taktik verfolgt nun auch Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabrie. Im Schatten der WM in Brasilien plant dieser, sein Fracking-Gesetz durch den Bundestag zu bringen – möglichst schnell und ohne viel Aufsehen.
Eine tickende Zeitbombe
Fracking zielt darauf ab, Erdgas aus besonders tief liegenden Gesteinsschichten zu fördern. Hierzu werden Löcher gebohrt, die, nach Angaben des auf diesem Gebiet führenden Energiekonzerns Exxon Mobile, bis zu 3000 Meter tief sein können. Nachdem die Zieltiefe erreicht ist, wird der Bohrvorgang in horizontaler Richtung fortgesetzt. Abschließend werden mehrere Zentimeter dicke Stahlrohre eingelassen, um die Trinkwasser führenden Schichten zu sichern. Mithilfe einer „Perforationskanone“ werden dann Hohlräume in das Gestein gesprengt, die dann unter hohem Druck mit einem chemischen Gemisch gefüllt werden. Hierdurch entstehen Risse im Gestein, durch die das Gas dann ausströmen und gefördert werden kann.
In den Vereinigten Staaten, der eigentlichen Heimat des Frackings, führte dieses Verfahren bereits zu kuriosen Phänomenen und Naturschauspielen. AnwohnerInnen von Fracking-Sites beklagen seit Jahren gravierende Veränderungen ihres Trinkwassers. Auf YouTube und anderen Plattformen kursieren Videos, in denen die Betroffenen ihre Erlebnisse festgehalten haben. Brennendes Kranwasser in der hauseigenen Küche und künstlerisch anmutende Springbrunnen, die einem Flammenwerfer ähneln, sind keine Seltenheit. Ursächlich verantwortlich für diese Phänomene ist im Trinkwasser und Grundwasser gelöstes Erdgas. Dieses bleibt auch in gelöster Form leicht entzündlich und stellt somit neben der Brandgefahr auch eine nicht zu verachtende gesundheitliche Gefahr dar – wer trinkt schon gerne Wasser mit Gasversatz. Abseits der Probleme, die sich für die menschlichen KonsumentInnen der verseuchten Wasserquellen ergeben, wirken sich die toxischen Veränderungen natürlich auch unmittelbar auf die Natur aus. Eine US-Studie der Duke University im US-Bundesstaat New Carolina aus dem vergangenen Jahr belegte die Trinkwasserbelastung durch Fracking. Die WissenschaftlerInnen nahmen Proben aus 141 privaten Brunnen in der Gegend des Marcellus-Beckens im Nordosten des Bundesstaats Pennsylvania – dort gibt es große Schiefergasvorkommen. Neben einer sechsmal höheren Methankonzentration stellten die Forscher auch eine bis zu dreiundzwanzigmal höhere Ethankonzentration fest – in sechs Brunnen wurde sogar Propan nachgewiesen.
Der amtierende Staatsminister für Umwelt und Gesundheit in Bayern, Marcel Huber (CSU), sagte 2013 gegenüber der Süddeutschen Zeitung, dass Fracking so lange verboten bleiben müsse, bis die Risiken für Natur und Mensch abschätzbar seien. Zudem warnte er vor der Gefahr, Fracking könne sich zu einer „tickenden Zeitbombe“ entwickeln – gerade der „chemische Giftcocktail“ bedrohe das Trinkwasser, so Huber.
Der Gesetzesentwurf des damaligen Bundesumweltministers Peter Altmaier (CDU) und des Wirtschaftsministers Philipp Rösler (FDP) scheiterte 2013 am Widerstand der Länder und der eigenen Koalition. Erst im Mai dieses Jahres sprachen sich die UmweltministerInnen der Länder erneut und geschlossen auf einer Konferenz in Konstanz dagegen aus und betonten, dass man die Fracking-Technologie nicht guten Gewissens einsetzen könne, ohne die Spätfolgen für Natur und Mensch absehen zu können.
Auch der aktuelle Gesetzesentwurf orientiert sich signifikant an den Rahmenbedingungen, die Altmaier (CDU) und Rösler (FDP) seinerzeit vorlegten. Demnach soll es ein striktes Fracking-Verbot in Trinkwasserschutzgebieten (in der BRD machen diese „nur“ knapp 14 Prozent der Landesfläche aus) und eine Umweltverträglichkeitsprüfung geben – so weit der Bundeswirtschaftsminister in der vergangenen Woche. UmweltschützerInnen und Initiativen kritisieren, dass diese Rahmenbedingungen schlichtweg unzureichend und rechtlich unklar seien – insbesondere beträfe dies die sogenannten „umwelttoxischen Substanzen“, deren Einsatz Gabriel verbieten möchte.
Geteilte Meinung und Widerstand
Aktuell scheint es so zu sein, dass sich die Länder weiterhin geschlossen gegen eine Einführung von Fracking positionieren. Im Mai 2013 war die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) in das kanadische Calgary gereist, um sich in dem kleinen Ort Dawsons Creek verschiedene Bohrstellen zeigen zu lassen und um sich über das Fracking zu informieren (die :bsz berichtete). Ein Hauptgrund für diese Reise waren vermutlich auch die enormen Schiefergasvorkommen, die sich gerade in den nordrhein-westfälischen Gesteinsschichten finden lassen.
Recht schnell zeigte sich jedoch, dass sich Hannelore Kraft nicht mit den Bedingungen anfreunden konnte, die für großangelegte Fracking-Sites erforderlich wären. Zum einen müssten kilometerlange Pipelines ver- und unzählige Bohrlöcher angelegt werden, zum anderen müssten die Bauteile durch dichtbesiedelte Gebiete transportiert werden – in einem Ballungs-Bundesland wie Nordrhein-Westfalen schier undenkbar. Gegenüber der WAZ sagte die Ministerpräsidentin damals, dass sie sich nicht vorstellen könne, dass täglich hunderte Laster durch das Münsterland donnerten.
An dieser Meinung scheint sich bisher nichts geändert zu haben. Kürzlich bezog Kraft erneut Stellung und äußerte sich ablehnend gegenüber möglichen Fracking-Vorhaben in NRW: „Solange ich in Nordrhein-Westfalen Ministerpräsidentin bin, wird es hier kein Fracking für die unkonventionelle Erdgasförderung geben“, betonte Kraft. Auch der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) äußerte sich kritisch gegenüber Fracking. „Wir sind uns einig, dass die Förderung unkonventioneller Gasvorkommen mit Fracking, also mit Chemie und hohem Druck, kein ökologisch vertretbarer Weg ist“, sagte er im Mai auf der Umweltministerkonferenz der Länder.
Aktuell laufen verschiedene Initiativen, um die Fracking-Pläne von Bundeswirtschaftsminister Gabriel (SPD) zu vereiteln. Auf campact.de haben bereits über 218.000 Menschen eine Petition unterzeichnet, die sich klar gegen die bundesweite Legitimation der Schiefergasförderung stellt. Ein prominenter und ungewollter Unterstützer dieses Vorhabens könnte auch der Konzernchef des Energieriesen Exxon Mobile, Rex Tillerson, sein. Der Chef des weltweit operierenden Fracking-Unternehmens versucht gerade höchstselbst ein Fracking-Projekt nahe seiner Pferderanch in Texas zu verhindern. Und das, obwohl Fracking doch vollkommen ungefährlich sei.
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