Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hat vergangene Woche die türkische Regierung unter Ministerpräsident Recep Tayyip Erdoğan für ihren Umgang mit den Protesten von 2013 heftig kritisiert. Vor einem Jahr eskalierte in Istanbuls Innenstadt durch Polizeigewalt eine Demonstration von UmweltschützerInnen gegen ein geplantes Bauprojekt auf dem Gelände des Gezi-Parks. In Folge dessen kam es monatelang zu landesweiten Protesten gegen die Regierung, an denen insgesamt über 3,5 Millionen Menschen teilnahmen. Dabei ereignete sich vielfach weitere Polizeigewalt sowie eine bis heute fortgesetzte Kriminalisierung von friedlichen Oppositionellen.
Amnesty International (AI) stellte hierzu den Bericht „Adding injustice to injury“ vor, zu Deutsch etwa „der Gewalt Unrecht hinzufügen“. Nach Angaben von AI wurden im Zusammenhang mit den Protesten mehr als 5.500 Menschen angeklagt: so für das Teilnehmen an nicht-genehmigten Veranstaltungen, für das Organisieren derselben, für das Gründen von Protestbündnissen oder bloß wegen des Kommentierens der Geschehnisse in sozialen Netzwerken. „JournalistInnen, Ärztinnen und Ärzte sowie Anwältinnen und Anwälte, welche die Ereignisse dokumentierten, die Protestierenden unterstützten oder ihre Rechte verteidigten, wurden festgenommen, geschlagen und bedroht, als die Regierung versuchte, ihre KritikerInnen hinwegzufegen“, heißt es in dem Bericht. Dagegen wurden bisher nur neun Polizisten angeklagt – trotz hunderter Anzeigen gegen die Polizei und mehr als 7.000 verletzten Oppositionellen und Unbeteiligten.
Der AI-Bericht dokumentiert Fälle von Unrecht durch den türkischen Staat, während und abseits von Demonstrationen – beispielsweise dass behelfsmäßige Krankenhäuser der Protestierenden von der Polizei mit Tränengas geflutet wurden oder dass gegen medizinisches Personal, das dort Hilfe geleistet hatte, Disziplinarstrafen verhängt wurden. Der Bericht kommt zu dem Schluss, dass es eines erheblichen Wandels der Regierungshaltung gegenüber Kritik bedürfe: „Das Recht auf Versammlungsfreiheit zu respektieren, die Verfolgung von friedlichen Protest-OrganisatorInnen und Protestierenden zu unterlassen und die Haftung für Polizeigewalt sicherzustellen, wäre ein guter Anfang.“
:Gastautor Patrick Henkelmann
Der Bericht als PDF: tinyurl.com/lfx6tzp
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