Bild: Gemeinsames Feierabendbier mit den Kameraden – nach den Massenexekutionen., Dokufilm über die Täter des Holocaust: „Das radikal Böse“ Quelle: docMovie

Vorstellungen über das Böse werden vom Film gerne mitgetragen. Meist wird es als etwas Fremdartiges, das von außen auf die Menschheit stößt, mystifiziert, in Form furchteinflößender Wesen oder asozialer PsychopathInnen. So ist es erträglich. Mit Stefan Ruzowitzkys (Oscar für „Die Fälscher“) Dokumentar-Essay „Das radikal Böse“  ist es ausgerechnet ein Film, der das Böse ins Alltägliche einbettet – in der Auseinandersetzung mit der Massen­ermordung tausender Juden und Jüdinnen. Ausgehend von den Gedanken Hannah Arendts, von der ein Satz dem Film vorangeschickt wird, ist es die alltägliche Banalität, mit der sich das Böse vermengt – das Unmenschliche im Menschlichen.

Der Auftakt zeigt die Nürnberger Prozesse, die Hauptkriegsverbrecher  sind zu sehen, aus dem Off sind die Urteile zu hören. Der damalige Chefankläger Benjamin Ferencz berichtet über den symbolischen Charakter der Prozesse, da ein Großteil der Mittäter juristisch unberücksichtigt blieb: Kann man alle anklagen? Was ist mit den anderen 3.000? Wer sind sie überhaupt? Genau denen widmet sich Ruzowitzkys Film, den Jedermanns, die im Schatten der großen NS-IdeologInnen genauso an der Massentötung in Osteuropa beteiligt waren, nicht selten nach der Devise: Befehl ist Befehl.

Ähnlich wie Claude Lanzmanns „Shoah“ verzichtet auch Ruzowitzk weitgehend auf Archivaufnahmen. Dagegen lässt er andere Dokumente sprechen: Briefe, Augenzeugenberichte oder Tagebucheinträge werden von Schauspieler­Innen (darunter u.a. David Striesow oder Benno Führmann) gesprochen und geben einen verstörenden Einblick in das alltägliche Grauen. Zur Visualisierung zeigt Ruzowitzky Statisten, die den Alltag darstellen, beim Stillstehen oder beim geselligen Biertrinken mit den Kameraden. Zu Wort kommen Experten wie der damalige Chefankläger Benjamin Ferencz, der Psychiater Robert Jay Lifton, der Militärexperte Dave Grossman oder der Priester Patrick Desbois.

„Die letzten Schlacken unserer Humanität ablegen.“

Wie kann man erklären (oder be­greifen), dass brave, oft sehr junge Bürger, Menschen wie du und ich, zu Massenmördern werden, Familienväter Frauen, Kinder, sogar Säuglinge töten? Es gab, die Möglichkeit der Verweigerung – unter  Folge nur geringer Repressionen wie mehr Putzdienst, abwertenden Blicken oder Ausgrenzung von Kameraden. Der Film tastet sich langsam voran, interviewt verschiedene Experten, um die kollektivpsychologischen Mechanismen freizulegen; die historischen Dokumente geben einen offenen Einblick: „Männer, Frauen, Kinder – alles umgelegt, die Juden werden gänzlich ausgerottet, liebe Heidi, mach dir keine Gedanken darüber, es muss sein.“ Verschiedene Experimente versuchen die psychologischen Mechanismen zu erklären, etwa das Milgram-Experiment, das beobachtet, wie leichtfertig Testpersonen sich durch autoritäre Anweisungen dazu drängen lassen, andere Menschen mit Stromschlägen zu foltern. 65 Prozent geben sogar die maximale Stärke an Stromschocks, nehmen damit den Tod in Kauf. Schnell wird klar: All die Täter waren psychisch kerngesunde Männer, die sich beim ersten Mal noch übergeben mussten, sich aber allmählich an die Massenhinrichtungen gewöhnten, durch die Nazi-Propaganda, durch Kollektivdruck: „Merkwürdig, bei mir rührt sich gar nichts. Kein Mitleid. Ist eben so.“

Kann sich so etwas wiederholen?

Einige sehen es als notwendige Drecksarbeit, manche steigern sich in einen Blutrausch. Das Töten wird als Heilung angesehen, als Befreiung der Welt von allem Übel: „Menschenskind, verflucht nochmal, eine Generation muss dies halt durchstehen, damit es unsere Kinder besser haben.“ Das radikal Böse beginnt da, wo die Ermordung eines Kindes zum absolut Guten erhoben wird. Aber relativiert man die Taten, indem man sie psychologisch erklärt? Sicher werden die psychologischen Mechanismen, die auch die Massenermordungen durch die Nazis ermöglichten, allgemeingültig auf das Böse in der menschlichen Natur bezogen, aber die Täter sind, wie der Psychiater Robert Jay Lefton erläutert, trotzdem verantwortlich. Aber eine bloße Anklage an die Täter ist Ruzowitzkys Film nicht, denn die allgemeingültigen psychologischen Erklärungen führen auch zur Frage nach gegenwärtigen Gefahren und Möglichkeiten solcher Exzesse: „Völkermorde beginnen immer mit Rassismus. Also mit der Idee, dass eine Gruppe weniger wert ist“, so der Theologe Patrick Desbois. Erhellend wie hoffnungsvoll ist dagegen das Statement des Militärpsychologen Dave Grossman: Seinen Gegenüber nicht zu töten sei der Natur des Menschen wesentlich. Genau diese Veranlagung zu untergraben, ist das institutionelle Anliegen, das sich in der gesamten Militärgeschichte beob­achten lasse. Nicht der Mensch ist so schlecht, es sind die Verhältnisse.

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Vom 25. Januar bis 16. Februar findet das Dokumentarfilmfest „Stranger than Fiction“ statt. Spielorte sind u.a. das Endstation-Kino in Bochum-Langendreer, das sweetSixteen (Dortmund), das Filmstudio Glückauf (Essen) oder das Riofilmtheater (Mülheim).

Mehr Infos im Internet unter:
www.strangerthanfiction-nrw.de/

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