Die französischen Autoren Florent Silloray und Jacques Tardi sind in ihrer Familiengeschichte jeweils auf Spuren des Zweiten Weltkrieges gestoßen – und haben diese Erzählungen jetzt in Form von Comics vorgelegt. In „Auf den Spuren Rogers“ und „Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB“ erzählen die beiden Zeichner sehr persönliche Geschichten. Dabei werfen sie ein Schlaglicht auf ein in Frankreich nie groß zur Sprache gekommenes Thema – das Schicksal der französischen Armeesoldaten.
Auch für die Franzosen war der Zweite Weltkrieg lang – militärisch war das Land allerdings bereits 1940 besiegt. Zum Teil besetzt, zum Teil von Kollaborateuren regiert, wurde Frankreich 1944 von den Alliierten befreit. Nach dem Krieg kamen 1,6 Millionen französische Männer aus der Kriegsgefangenschaft in den Stalags (Stammlagern) frei – doch sie kehrten nicht als Helden zurück. Das Vaterland Napoleons hatte eine militärische Schmach erlitten, war in einem Blitzkrieg von den deutschen Erbfeinden aus dem Spiel genommen worden. Der Stachel der Erinnerung saß tief: Eine öffentliche Aufarbeitung fand nicht flächendeckend statt, die Heimgekehrten schwiegen. Sicher spielte auch eine Rolle, dass das erlittene Unrecht in den deutschen Lagern und die harte Zeit dort im Angesicht der planmäßigen Vernichtung von Millionen JüdInnen und anderen missliebigen Menschen durch das NS-Regime als das kleinere Übel galt.
Anders als die Konzentrationslager waren die Stalags auf die Internierung von Kriegsgefangenen und nicht auf die systematische Vernichtung von Menschenleben ausgelegt. Dennoch vermitteln die Berichte aus den Straflagern ein eindrückliches Bild von Zwangsarbeit, Menschenverachtung und dem Leben im Lager – aber auch vom Interesse der Nachkriegsgenerationen, die sich in den vorliegenden Werken nicht nur mit der Geschichte ihrer Familie, sondern ihres Kontinents beschäftigen.
Tardi im Stalag
Vier Jahre und acht Monate verbrachte der Franzose René Tardi im Stammlager IIB, einem Lager für Kriegsgefangene in Hinterpommern im heutigen Polen. Beginnend mit den kurzen Kriegserfahrungen von 1940, von Tardi marginalisierend als „kurzes Verdreschen“ erinnert, berichtet sein Sohn Jacques nach Aufzeichnungen seines Vaters, den er bat, seine Erlebnisse niederzuschreiben. Gesprochen über seine persönliche Kriegsgeschichte hatte dieser nämlich nie. Bevor Jacques seinem Vater nach der Lektüre der eng beschriebenen drei Schulhefte, die dessen Erinnerung bargen, tiefer gehende Fragen stellen konnte, starb dieser.
Dennoch ist Tardi ein sehr eindrücklicher Bericht gelungen. Sich selbst hat er in Form eines kleinen Jungen in die detailreiche, schwarz-weiße Geschichte eingearbeitet. Der junge Jacques begleitet seinen Vater durch dessen Erinnerungen und stellt viele Fragen – Fragen, auf die er zu Lebzeiten seines Vaters keine Antwort bekam. Der zu Beginn des Krieges 25-Jährige wird nach kurzen Kämpfen als Panzerfahrer von den Deutschen gefangenen genommen: „Die weltbeste Armee existierte nicht mehr!“, bringt er den Stolz der Franzosen auf den Punkt, der hinterher in Scham umschlagen sollte. Der Schwerpunkt des Buches liegt auf dem Lagerleben, das detailliert ausgeleuchtet wird.
Silloray auf der Suche
Florent Silloray erzählt in „Auf den Spuren Rogers“ zwei Geschichten – zunächst einmal die einer Spurensuche, zum anderen jene, die diese Suche freigibt. Der Roger, dem Silloray auf der Spur ist, ist sein Großvater Roger Brelet. Anhand eines Notizbuches folgt der Enkel den Aufzeichnungen durch Europa. An den historischen Schauplätzen fand Silloray offenbar die Inspiration, die Geschichte Brelets auch für die LeserInnen seines Buches lebendig werden zu lassen.
Die Zeitebenen sind dabei farbig voneinander abgehoben. Während in der farbigen Gegenwart grün und orange vorherrschen, hat sich über die Vergangenheit ein Sepia-Schleier gelegt. Der Schwerpunkt liegt zu gleichen Teilen auf der Quelle und dem detaillierten Forschungsreisebericht. Auch bei Silloray trifft man auf das Schweigen der Heimkehrer: „Nur ein einziges Mal hat Opa mir gegenüber eine Erinnerung aus der Gefangenschaft erzählt. Er erwähnte weder die von ihm erlebten Qualen, noch seine Kriegserlebnisse. Nichts“, konstatiert Silloray am Ende seiner lesenswerten Erzählung.
Jacques Tardi: „Ich, René Tardi, Kriegsgefangener im Stalag IIB“. Edition Moderne, Hardcover, 200 Seiten, 35 Euro.
Florent Silloray: „Auf den Spuren Rogers“. avant-verlag, Hardcover, 112 Seiten, 24,95 Euro.
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