Jennifer Bentz wird bald dreißig, hat Ausbildung und Studium abgeschlossen. Sie war im Ausland, besitzt Berufspraxis, schrieb gute Noten. Doch ihre Qualifikationen reichen nicht für die ersehnte Festanstellung. In der Hoffnung auf ein Ausbildungsprogramm stürzt sich die frischgebackene Hochschulabsolventin ins nächste Praktikum. Mit überdurchschnittlichem Arbeitseifer möchte sie ihrem Chef imponieren – am Ende zu viel für die junge Frau: Auf Leistungsdruck und Stress folgen Nervosität und Schlaflosigkeit. Atemnot und Übelkeit führen zum totalen körperlichen Zusammenbruch. Doch Jenny ist organisch gesund. Burn-out lautet ihre Diagnose. „Einfach mal klarkommen“ soll die Erschöpfungspatientin schließlich auf der psychosomatischen Station eines Nervenklinikums.
„Was ich auf jeden Fall tun sollte, ist eine Punkrock-Band gründen und demnächst einen Roadtrip durch die USA starten. […]. Oder ich schreibe ein Buch. Nein, ich schreibe kein Buch. Ich hätte zu viel Angst vor Thea Dorn“, sagt Jenny am Ende ihres Klinikaufenthalts. Noch vor drei Wochen strebte sie nach Erfolg in der Filmbranche – nun hat sie gelernt, die Dinge lockerer zu sehen. „Bist Du jetzt wahnsinnig geworden“, fragt ihre Freundin. „Nein, wahnsinnig war ich früher“, entgegnet sie mit neuem Lebensmut.
Auch die Angst vor LiteraturkritikerInnen ist heute überwunden, denn der Mitte Mai dieses Jahres erschienene Roman „Einfach mal klarkommen“ beruht auf ihrer eigenen wahren Geschichte. Dabei schildert die 1980 geborene studierte Publizistin und Filmwissenschaftlerin Jennifer Bentz ihren Weg vom Studium übers Praktikum in die Nervenklinik und zurück zu einem unbeschwerten Leben. Herausgekommen ist eine Art ‚Bildungsroman in drei Wochen’ an dessen Ende nicht nur die humorvolle Erkenntnis steht, dass Dreißig das neue Zwanzig ist. Ernste Probleme einer jungen AkademikerInnengeneration werden aufgearbeitet. Jennifer findet einen Weg, mit ihrem Schicksal umzugehen.
Spielball der Unternehmen
Am eigenen Leib musste die in Mainz lebende Autorin erfahren, was „Generation Praktikum“ bedeutet: „In erster Linie die unsicheren beruflichen Verhältnisse nach dem Studienabschluss. Die Ära der lebenslangen Festanstellung direkt nach dem Studium ist lange vorbei: Heute starten viele mit Praktikantenstellen oder als Freelancer (Anm. d. Red: Freiberufler) in unbezahlten Projekten“, sagt Bentz. Im direkten Vergleich mit unserer Vorgängergeneration werde dies als Scheitern betrachtet. So rückt für viele BerufseinsteigerInnen nicht nur der Traumjob in weite Ferne. Es kommen existentielle Ängste auf, den eigenen Lebensunterhalt nicht bestreiten, das Wohlstandslevel der Elterngeneration niemals erreichen zu können. Gerade junge AbsolventInnen, in wirtschaftlichen Krisenzeiten und/oder überlaufenen Branchen werden zum Spielball der UnternehmerInnen. „Sie sind motiviert, identifizieren sich mit ihrer Arbeit und haben hohe Erwartungen an sich selbst. Einerseits suchen sie nach Sicherheit und Stabilität, andererseits haben sie Angst vor potentiellen Lücken im Lebenslauf und lassen sich daher von Gelegenheiten hin- und herwerfen und machen auch mal mehr als nötig“, sagt die Autorin.
Ihre ersten Schritte ins Berufsleben endeten so auf einer Station für psychosomatisch Kranke. Hier trifft Jenny NeurotikerInnen, TinnituspatientInnen und Essgestörte. Nach anfänglichen Berührungsängsten seitens der neuen Patientin liest sich die detailgetreue Schilderung der drei Therapiewochen wie ein Internatsroman: Heimliches nächtliches Rauchen, inklusive Aussperren auf dem Balkon, oder der unerlaubte doppelte Wodka beim Ausgang; eine Zicke, Muttitypen, ein unverbesserlicher Witzbold – schrullige Charaktere, Patienten- und Psychologenklischees werden charmant ausgearbeitet, unterstreichen humorvoll die unfreiwillig komische soziale Konstellation in der Klinik. Einzig die Sprache in Bentz‘ Romandebüt bleibt einfach und schnörkellos, vielleicht etwas zu sachlich.
Burn-out – kein Witz
Nun soll der Roman seinen Gegenstand auch nicht verklären: Wenn Johann König sein „Burn-Outing“ hat, Rainald Grebe „Burn-out sweet nothing“ singt, und das Erschöpfungssyndrom allgemein zur Volkskrankheit avanciert, haftet allein dem Begriff etwas Humoristisch-Anekdotisches an. Trotzdem ist Burn-out eine ernstzunehmende Erkrankung, ein Symptom der neoliberalen Leistungsgesellschaft. 4,2 Prozent der Deutschen, längst nicht mehr nur die Chefetage, leiden darunter. Nach einer 2012 veröffentlichten Befragung von BeraterInnen in Studierendenwerken sprachen 61 Prozent von einem deutlichen Anstieg von „Burn-out im engeren Sinne“ bei Studierenden in den vergangenen fünf Jahren. Als Autorin und Betroffene fordert Bentz einen offeneren Umgang mit dem Phänomen in der Gesellschaft.
Jennifer Bentz:
„Einfach mal klarkommen.
Studium – Praktikum – Klinikum. Eine wahre Geschichte“
Eden Books
234 Seiten
12,95 Euro
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