Ein sterbendes System erkennt man am Schließen seiner Nischen, könnte man zum Beispiel über die DDR sagen. Aber auch im Osten des Westens, wie das Ruhrgebiet hin und wieder bezeichnet wird, schreitet die Nischenschließung offenbar voran: So wird die 1931 gegründete KünstlerInnensiedlung Halfmannshof – eine der ältesten in Deutschland – derzeit einer grundlegenden Umgestaltung unterzogen. Eine Ausstellungshalle aus den 50er Jahren musste bereits dem Abrissbagger weichen, und bald sollen dort lukrative Reihenhäuser entstehen. Zudem soll den am Halfmannshof residierenden KünstlerInnen künftig kein lebenslanges Mietrecht mehr garantiert werden. Die :bsz hat sich von der Situation vor Ort ein Bild gemacht.
Es ist ein beschauliches Fleckchen Erde inmitten eines Villenviertels – auch wenn die unmittelbar an der Künstlersiedlung vorbeiführende Bundesstraße 227 zumindest tagsüber für ein permanentes Hintergrundrauschen sorgt. In der zentralen Grünanlage, die von den ländlich wirkenden Siedlungshäusern umgeben ist, finden sich hier diverse Skulpturen aus Stein, Stahl und bunt lackiertem Holz. Hier und da laden zudem Tische und Bänke zum Verweilen ein – es ist ein kleines Kunstidyll mitten in der Großstadt. Damit aber könnte bald (vorerst) Schluss sein.
Multikunst-Idyll bedroht
In seiner Blütezeit in den 50er und 60er Jahren avancierte der Halfmannshof unter Leitung des Essener Objektkünstlers Ferdinand Spindel mit Künstlern wie Günther Uecker, dem Franzosen Ives Klein sowie Heinz Mack im Kielwasser der Gruppe ZERO gar zum „Zentrum der Bildenden Kunst“, wo bis heute über 130 Ausstellungen stattfanden. Auch wenn der Charme dieser Tage etwas verblasst ist, gilt der Halfmannshof auch heute noch als ursprünglich von den Maximen der frühen Bauhaus-Periode in den Zwanziger Jahren inspirierte Schnittstelle für diverse Sparten zwischen Plastik und Malerei sowie dem Kunsthandwerk. Vom internationalen Bildhauersymposion über große Fotoausstellungen in den 80er Jahren bis hin zum regelmäßig stattfindenden jährlichen Kunstmarkt am 1. Adventssonntag mit mehreren tausend BesucherInnen hatte die idyllische KünstlerInnensiedlung auch hinsichtlich der Außenwirkung einiges zu bieten. Doch angesichts eines aus öffentlichen Mitteln abzufedernden jährlichen ökonomischen Defizits von zuletzt 140.000 Euro sowie anstehender Sanierungsmaßnahmen hat der Rat der Stadt Gelsenkirchen bereits vor anderthalb Jahren den Beschluss zu einer grundlegenden Umgestaltung der Siedlung gefasst. Die nun begonnene Umsetzung bedroht jedoch die kulturelle Identität des Halfmannshofs, der nicht umsonst auf der Roten Liste des Deutschen Kulturrats über bedrohtes Kulturgut steht.
Gentrifizierte KünstlerInnensiedlung
So sollen jene Reihenhäuser, die unter anderem auf dem Areal der abgerissenen Kunsthalle entstehen, laut einem WDR-Bericht an „kunstaffine Menschen“ veräußert werden und somit das finanzielle Fundament verbreitert werden, um die Siedlung mit einem neuen Konzept weiterzuführen: Künftig sollen die KünstlerInnen kein lebenslanges Mietrecht mehr bekommen, sondern nur noch StipendiatInnen aus Deutschland und dem benachbarten Ausland auf Zeit am Halfmannshof residieren. Die Gelsenkirchener Wohnungsbaugesellschaft GGW zeigt sich derweil bemüht, den Eindruck zu vermeiden, sie seien dazu gedrängt worden, die Siedlung zu verlassen: Bis auf zwei hätten alle der ehemals elf ansässigen KünstlerInnen ihre Ateliers und Wohnungen bereits geräumt; hierzu sei niemand gedrängt worden, so ein Sprecher der GGW gegenüber dem WDR – Kündigungen seien lediglich bezüglich gewerblich genutzter Atelierflächen ausgesprochen worden. Im Rahmen von „Aufhebungsverträgen“ seien „Wohnraumverhältnisse einvernehmlich mit den Künstlern beendet worden“, betont der Wohnungs- und Immobilienwirt Stefan Eismann (GGW). Die BürgerInneninitiative „Rettet die Künstlersiedlung Halfmannshof“ sieht dies jedoch ganz anders: „Seit November 2010 entzieht die Stadt der Künstlersiedlung schrittweise ihre Rechte und ihre Autonomie, die über 80 Jahre Bestand hatten“, heißt es auf den Netzseiten der Initiative – bis hin zu zwischenzeitlich angestrengten Räumungsklagen. Auch das Gesamtkonzept der Umgestaltung der Siedlung wird grundlegend infrage gestellt: „Es ist schon ganz schön unverfroren, den Abriss der Ausstellungshalle und des angrenzenden Künstler-Wohnhauses und die anschließende Neubebauung mit Eigenheimen als Kulturförderung zu verkaufen.“
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