Über ein Dutzend KünstlerInnen mit deutschen und polnischen Wurzeln, die jedoch allesamt in der Ruhr-Region zuhause sind, präsentierten am Abend des 3. Mai kreative Deutungsmuster des Begriffs „Heimat“: Von heimischer Singer-Songwriter-Musik über literarische Lesungen auf Deutsch und Polnisch bis hin zu Fotos, Grafiken, Gemälden und Videokunst wurden diskursive Annäherungen an das schwierige Thema versucht. Den Rahmen der von der Gemeinschaft für studentischen Austausch in Mittel- und Osteuropa (GFPS) e. V. initiierten sowie vom Slavistik-Institut der Ruhr-Uni und von der Fachschaft, dem Lotman-Institut und der Stadt Bochum unterstützten Veranstaltung im Freien Kunst Territorium (FKT) an der Bessemerstraße bot eine Ausstellung von Studierenden der Freien Akademie der bildenden Künste Essen. Das zumeist studentische Publikum aus Polen, Weißrussland, Tschechien und Deutschland zeigte sich überwiegend begeistert.
Schon beim Begriff selbst beginnen die Schwierigkeiten: Kann „Heimat“ doch im Polnischen nicht nur von „Heim“, sondern auch von „Vater“ abgeleitet werden und impliziert somit wie „Vaterland“ im Deutschen ein patriarchales Konzept. Solche altbackenen Assoziationen verschwimmen jedoch spätestens, wenn man den Wahl-Ruhrgebietler Łukasz Łaski auf Polnisch eine Geschichte über einen wilden Disco-Abend im Dortmunder „Spirit“ erzählen hört. Plötzlich beginnt die aus einer völlig neuen Perspektive gespiegelte heimische Kultur in ganz neuen Facetten zu schillern, und selbst das Grau der Ruhr-Metropole bekommt einen unvermuteten Glanz. Wie Musik strömen – gerade für den/die SprachunkundigeN – die Worte durch die Kellergewölbe des FKT, umrahmt von einem vielfältigen Querschnitt der künstlerischen Arbeiten zum Thema „Heimat“.
(Un)heimliche Suche
An einer der Kellerwände ist die Fotografie einer unglücklich wirkenden jungen Frau vor einem Palmenpanorama zu sehen, die sich in ihrer um das singuläre Diaspora-Bild fotografisch dokumentierten häuslichen Umgebung offensichtlich alles andere als heimisch fühlt. Die perpetuierte rastlose Suche nach Heimat selbst in geradezu klaustrophobischen Wohnverhältnissen ist hier das Leitmotiv. Eine andere Wand zeigt Arbeiten einer Künstlerin, die nur die Bilder sprechen lassen will und zu ihrem fotografischen Œuvre keine Stellung beziehen möchte: Fernab der Zivilisation scheint eine Frauengestalt gänzlich mit der sie umgebenden Natur zu verschmelzen. Ein schroffer Kontrast tut sich an der gegenüberliegenden Seite des Raumes auf, wo eine Serie grauer Betonparkhausportraits die ehemalige Lebenswelt des Fotokünstlers Alexander Fichtner abbildet, der dort als Jugendlicher mit seiner ´Gang` heimlich die Zeit verrauchte.
Heimat als Leerstelle
Wenn im irdischen Sein gar keine heimatlichen Gefühle aufkommen wollen, wird ´Heimat` zuweilen auch metaphysisch verortet. So stellte die sich weder als deutsch noch als polnische definierende Künstlerin Grażyna Burek ihr Exponat vor, das einzig ein großflächig gerahmtes weißes Fotopapier zeigt. Auf diese Weise wird der umstrittene Begriff zur Leerstelle, die es von dem/der BetrachterIn assoziativ zu füllen gilt. Für die Künstlerin verbirgt sich in der monochromen Fläche jedoch zugleich die Vorahnung auf ein scheinbar überbelichtet weißes Gleißen, das sie mit dem Übertritt ins Jenseits assoziiert, was sie als Rückkehr in etwas wie ´Heimat` interpretiert. Dass real existierende Heimatgefühle im Hier und Jetzt aber auch schlicht und einfach roher (politischer) Gewalt zum Opfer fallen können, zeigte eine Video-Installation von Sven Stephani über das Ergebnis des zwecks Konzerthausbau verordneten Kettensägenmassakers der Platanen an der Bochumer Marienkirche im November 2012 (die :bsz berichtete).
Mehr als ein Wort
Dass Annäherungen an den Begriff ´Heimat` auch wortreich geschehen können, stellte im Verlauf des Abends die Gruppe Treibgut – Literatur von der Ruhr eindrucksvoll unter Beweis: So gestaltete die Campus-Autorin und Singer-Songwriterin Jules Piel stimmungsvoll den Auftakt des Abends. Eher verstörende stimmgewaltige Annäherungen an das Motto der Veranstaltung brachte Ulrich Schröder im Außenbereich des weitläufigen Geländes zu Gehör und zeigte die unselige Verknüpfung zwischen Heimatgefühlen und katastrophischen Verlustängsten auf. Mit Wort(un)getümen, die assoziativ vor allem auf polnische Städtenamen rekurrierten, wusste Marek Firlej zu begeistern, und humoristische Variationen auf den Heimatbegriff präsentierte auch der Poetry-Slammer Philipp Dorok. Persönlichere Spielarten einer jungen Literatur von hier brachte Treibgut-Newcomerin Felicitas Friedrich auf die Bühne, während Caroline Königs einen Romanauszug und eine metasprachliche Kurzgeschichte vortrug, die eindrucksvoll zeigt, wie die heimische Sprachkultur NichtmuttersprachlerInnen zur Verzweiflung treiben kann…
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