Bild: Gruselkabinett: Hörspiele für schaurig-schöne Abende., Ein Horrorklassiker als Hörgrusel Foto: Patrick Henkelmann

1927 in Massachusetts, Neuengland: ein gerade volljährig gewordener junger Mann will von der Hafenstadt Newburyport weiter in die (fiktive) Stadt Arkham reisen, wo er mehr über seine Familiengeschichte erfahren möchte. Da der Protagonist knapp bei Kasse ist, will er für seine Weiterreise am nächsten Morgen statt dem Dampfzug einen alten Bus nehmen, der jedoch über die verfallene, in den Nachbarstädten berüchtigte und von Fremden gemiedene (ebenfalls fiktive) Hafenstadt Innsmouth fährt. Über Innsmouth hört und recherchiert der unbenannte Protagonist, dass es in dieser Stadt nach dem wirtschaftlichen Niedergang in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts zu mysteriösen Ereignissen und einem rapiden Verfall gekommen sei. Die meisten EinwohnerInnen von Innsmouth sollen ein charakteristisches Aussehen mit ‚fischartigen‘ Zügen und Missbildungen haben, das sich mit dem Alter immer stärker ausprägt. Es heißt gar, die Bevölkerung von Innsmouth hätte einen Pakt mit dem Teufel geschlossen.

Wie der Protagonist weiter erfährt, stammen von dort einige sonderbare goldene Schmuckstücke in einem unirdischen Stil, auf denen menschenähnliche Kreaturen abgebildet sind, die zugleich Ähnlichkeit mit Fischen und Fröschen aufweisen. Das Christentum wurde in Innsmouth schon lange von einem mysteriösen neuheidnischen Kult verdrängt, dem „Esoterischen Orden von Dagon“. Die Gerüchte und Informationen wecken das Interesse des jungen Mannes und er plant entgegen diverser Warnungen, sich die verrufene Stadt ein wenig anzuschauen, bevor er von dort am Abend mit dem Bus weiter nach Arkham reist. Schon beim Aussehen des unsympathischen Busfahrers aus Innsmouth fällt ihm der eigenartige „Innsmouth-Look“ auf. Die Stadt selbst zeigt sich stark heruntergekommen und scheint größtenteils verlassen zu sein. Alle Fensterläden sind geschlossen. Es sind nur wenige Einwohner zu sehen.

Eine Stadt des Horrors

Bei seinen Nachforschungen stößt der Protagonist auf einen ‚normal‘ aussehenden alten Trunkenbold namens Zadok Allen, der die Geschichte von Innsmouth aus eigenem Erleben kennen soll. Dank einer Flasche Whiskey ist Allen schließlich willig, ihm zu erzählen, was in der Stadt geschah, als er noch ein Kind war. Zu erzählen, was einst mit den Expeditionen des Captain Obed Marsh seinen Ausgang nahm und die Stadt schließlich für immer verändert hat. Doch wer das Geheimnis von Innsmouth kennt, dem wird es schwer gemacht, diesen Ort wieder zu verlassen…

Die 1931 von H. P. Lovecraft (1890 bis 1937) verfasste Novelle „Schatten über Innsmouth“ ist eine der bekanntesten Geschichten Lovecrafts. Ein zeitloses Meisterwerk der schaurigen phantastischen Literatur – retrospektiv aus der Ich-Perspektive erzählt und dabei atmosphärisch dicht und mit subtilem Horror verbunden, wie es für die besseren Geschichten Lovecrafts typisch ist. Die Erzählung ist eine der zentralen Geschichten des fiktiven Cthulhu-Mythos um die „Großen Alten“, welcher das Genre der phantastischen Literatur erheblich beeinflusst hat und auch in anderen Medien vielfach aufgegriffen wurde (angefangen von Songtexten bis hin zu Computerspielen).

Ein Glanzstück des Gruselkabinetts

Nachdem schon 2003 eine Hörbuchversion bei Bastei Lübbe erschienen ist, liegt nun auch ein Hörspiel als Teil der renommierten Gruselkabinett-Reihe (Folge 66 und 67) von Titania Medien vor. Die beiden CDs haben zwar nur eine Gesamtspielzeit von 126 Minuten, doch ist die Umsetzung der Geschichte recht werkgetreu – im Gegensatz zu einigen anderen Gruselkabinett-Folgen. Wie für die Reihe typisch, ist die Umsetzung sehr professionell und atmosphärisch. Die SprecherInnen sind schauspielerisch gut und für ihre Rollen passend gewählt, Musik und Geräusche passen ebenfalls gut. Lediglich die beiden Illustrationen der CDs könnten gelungener und erwachsener sein. Alles in allem zählt „Der Schatten über Innsmouth“ mit zu den besten Folgen des Gruselkabinetts.

Wer Action oder Schockeffekte erwartet, der ist bei diesem Hörspiel jedoch genauso falsch wie bei Lovecrafts Vorlage. Die Geschichte lebt von der langsamen Zunahme des gefühlten Unheimlichen und Bedrohlichen. Der Horror spielt sich bei Lovecraft mehr im Geist der Lesenden ab als in den beschriebenen Szenen; wobei die Lektüre von Lovecrafts Novelle deutlich mehr Horror erzeugen kann als das Gruselkabinett-Hörspiel. Wer nicht lesescheu ist, der sollte die Geschichte zuerst lesen und bei Gefallen erwägen, sie sich zusätzlich noch als Hörspiel anzuhören. Wer dagegen lesescheu ist, der sollte Lovecraft wenigstens durch Hörspiele oder Hörbücher kennenlernen. Erfreulicherweise gibt es ja sowohl in der Gruselkabinett-Reihe als auch von Bastei Lübbe bereits einige Umsetzungen von Lovecraft-Geschichten. Mögen es mehr werden – und mögen endlich gute Verfilmungen dazu kommen. Oder zumindest passable Verfilmungen wie der 2001 erschienene Film „Dagon“ von Stuart Gordon, der sehr frei auf „Schatten über Innsmouth“ basiert.

Patrick Henkelmann

 

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