Unter dem populistischen Motto „1.000 Kreuze für das Leben“ versuchten christliche FundamentalistInnen am 9. März einmal mehr, mit einem Gebetsmarsch in Münster Abtreibungen als „Vernichtung“ ungeborenen Lebens zu stigmatisieren und Frauen das Selbstbestimmungsrecht über ihren Körper abzusprechen. Nur etwa 120 KreuzträgerInnen ließen sich jedoch an einem verregneten Samstagnachmittag von einem massiven Polizeiaufgebot den Weg durch die Peripherie der Münsteraner Innenstadt bahnen, während mehr als 400 GegendemonstrantInnen den ganzen Tag lang ihren kreativen Protest mitten ins urbane Zentrum trugen.
Dieser Erfolg kann jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass seit Gründung der sich selbst als „überkonfessionelle Vereinigung der Lebensschutzorganisationen“ bezeichnenden Gruppe „EuroProLife“ im Oktober 2007 neukonservative AbtreibungsgegnerInnen nicht nur in Europa auf dem Vormarsch sind. In diese Entwicklung fügt sich nicht zuletzt die aktuelle Wahl des jesuitischen Hardliners Jorge Mario Bergoglio zum Papst ein, der eine Freigabe von Schwangerschaftsabbrüchen ablehnt.
Unvertrauliche Geburt
Neben einer solchen das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen beschneidenden klerikalen Haltung sind jedoch auch aktuelle politische Vorstöße in Deutschland kritisch zu hinterfragen, Frauen als Alternative zur Abtreibung eine „vertrauliche Geburt“ zu ermöglichen. Und mehr noch: „Wir möchten werdende Mütter, die aus persönlichen Gründen Angst vor den Standards einer regulären, meldepflichtigen Geburt haben, durch das frühzeitige Angebot qualifizierter psychosozialer Beratung Auswege aus ihrer verzweifelten Lage aufzeigen“, führt Bundesfamilienministerin Kristina Schröder aus. Laut Kabinettsbeschluss der amtierenden Bundesregierung vom 13. März 2013 soll eine juristische Grundlage geschaffen werden, Schwangeren ab Mai 2014 die Möglichkeit einzuräumen, in Krankenhäusern anonym zu entbinden anstatt das außerhalb einer Klinik zur Welt gebrachte Kind in einer ‚Babyklappe’ abzuliefern. Doch die Anonymität hat Grenzen: Sobald das Kind das 16. Lebensjahr erreicht, kann es die Feststellung der Identität der Mutter beantragen. Dem kann diese nur begründet widersprechen, bis ein Familiengericht entscheidet, ob sie ihre Identität dennoch preisgeben muss.
Selbstbestimmung statt Beratungszwang
Durch die bürokratischen Hürden bei der von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder propagierten „vertraulichen Geburt“ entsteht nachlaufend ein ähnlicher Druck wie bei Schwangerschaftsabbrüchen im Rahmen der in Deutschland erstmals 1976 vom Bundestag beschlossenen und zuletzt 1993 modifizierten ‚Fristenregelung’: Nur wenn vor dem Eingriff ein Beratungsgespräch mit nachfolgender dreitägiger Bedenkzeit stattgefunden hat, bleibt dieser bis zur 14. Schwangerschaftswoche straffrei. Danach ist ein Abbruch nur mit der medizinischen Indikation einer Gefährdung des Lebens oder einer drohenden schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigung der Schwangeren legal möglich. Dies bringt die Betroffenen häufig in eine schwierige Lage und führt immer noch dazu, dass weiterhin ein Ausweg durch einen Schwangerschaftsabbruch im benachbarten Ausland gesucht oder der Weg einer anonymen Geburt beschritten wird. Der jüngste Vorstoß von Ministerin Schröder dürfte hieran wohl kaum etwas ändern.
Entkriminalisierung überfällig
Grundvoraussetzung für eine Verbesserung der Situation Schwangerer, die ihr Kind nicht zur Welt bringen möchten, wäre dagegen eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Wenn dies zudem mit einer Abschaffung der Zwangsberatung einherginge, würde der psychische Druck, der im Vorfeld einer solchen Entscheidung auf den Schwangeren lastet, deutlich reduziert. Eine weitere Möglichkeit, die Betroffenen zu entlasten, wäre eine deutlich erweiterte Frist – etwa wie seit 1984 in den Niederlanden rechtlich verankert – bis zur 22. Schwangerschaftswoche (dem angenommenen Eintritt der eigenständigen Lebensfähigkeit des Kindes außerhalb des Mutterleibes).
Kreativer Protest
Klerikale FundamentalistInnen wie EuroProLife jedoch haben offenbar anderes im Sinn als die Situation der Betroffenen zu entschärfen und drängen vielmehr auf eine verschärfte Anwendung des Paragraphen 218, durch den ein Abbruch formal auch vor der 14. Schwangerschaftswoche kriminalisiert wird. Der jüngste „1.000 Kreuze“-Marsch in Münster hat einmal mehr gezeigt, dass dem Versuch der ‚Fundis’, ihre latent frauenfeindlichen Dogmen in die Öffentlichkeit zu tragen, nur durch Zivilcourage und den Mut zu einem klaren Bekenntnis zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen Einhalt geboten werden kann. Während am 9. März sogar PassantInnen in den Chor der GegendemonstrantInnen einstimmten („always look on the bright side of life“), ging das fundamentalistische Gebet für das ‚ungeborene Leben’ wenig später im kreativen Gegenprotest unter.
Falsche Abbruchzahlen
Somit blieb auch die EuroProLife-Propaganda weitgehend ungehört, die weiszumachen versucht, täglich würden etwa 1.000 Schwangerschaften in Deutschland abgebrochen. Im vergangenen Jahr lag diese Zahl laut Statistischem Bundesamt bei 106.800 Abbrüchen und damit deutlich unter 300 pro Tag – mit fallender Tendenz im Vergleich zum Jahr 2011, als bundesweit noch 108.867 abgebrochen wurden. Um Organisationen EuroProLife jedoch dauerhaft in die Schranken zu weisen, hilft auch die Statistik nicht weiter. Hierzu wäre lediglich eine klare Gesetzgebung geeignet, welche die betroffenen Frauen in ihrem Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper stärkt und den ‚Fundis’ durch eine Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen die legalistische Argumentationsgrundlage entzieht.
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