Wenn der Winter kommt, es draußen bitter kalt und rasch dunkel wird, bietet sich ein schauriger bis makaberer Abend mit Horrorfilmen besonders an. Doch wer nicht nur oberflächlich unterhalten werden möchte, sondern auch kreative, innovative oder künstlerisch wertvolle Horrorfilme sehen will, der hat es schwer solche zu finden. Folgen die meisten Neuerscheinungen in diesem Genre doch nur einer Hand voll Muster – und das zumeist auch noch unbeholfen. Die im September ungekürzt auf Deutsch erschienene, international produzierte Horror-Anthologie „The Theatre Bizarre“ bildet da eine erfrischende Ausnahme.
Sechs Genre-erfahrene Regisseure steuerten dieser Anthologie jeweils einen Kurzfilm bei. Die Regisseure hatten dafür alle das gleiche Budget und den gleichen Zeitrahmen zur Verfügung, um einen zehn- bis 20-minütigen Film zu drehen, welcher vom Pariser Horror-Theater Théâtre du Grand Guignol (1897 bis 1962) inspiriert sein sollte. Das Resultat ist auf jeden Fall interessant, wenngleich die Meinungen der Horror-affinen Zuschauer über diesen Film stark auseinandergehen. Empfindliche Menschen seien jedoch vor The Theatre Bizarre gewarnt – zwar ist Gewalt hier im Gegensatz zu vielen anderen Horrorfilmen kein Selbstzweck, doch geht es in der Handlung einiger Episoden zeitweise ziemlich blutig, grausam und pervers zu.
Ein Theater des Horrors
Die Rahmenhandlung der Anthologie findet in einem verlassenen Theater statt, in das sich nachts eine junge Frau aus der Nachbarschaft hingezogen fühlt. Dort begegnet ihr der Geschichtenerzähler, eine menschenähnliche Puppe (gespielt von Udo Kier), die sich mechanisch und ruckhaft auf der Bühne bewegt. Der Geschichtenerzähler steuert das Spiel anderer menschenähnlicher Puppen auf der Bühne, führt der zunehmend verängstigten Frau die sechs Episoden vor und erscheint nach jeder Episode in seinem Aussehen und seinen Bewegungen mehr wie ein Mensch. Ob die junge Frau das Theater wieder verlassen wird?
Die erste Episode handelt von einem jungen Pärchen, das durch die Französischen Pyrenäen reist und einer alten Hexe begegnet. Diese zieht das Interesse des vom Okkulten faszinierten Mannes auf sich, indem sie ihm offenbart, eine Kopie des sagenumwobenen Zauberbuches Necronomicon zu besitzen. Doch tut sie das nicht ohne lüsterne Hintergedanken. Die Episode ist eine passable Verfilmung der Kurzgeschichte „Mother of Toads“ von Clark Ashton Smith, mit einer Hommage an H.P. Lovecraft.
Episode Zwei spielt in einer Wohnung in Berlin. Ein Mann wacht blutverschmiert in seinem Badezimmer auf und versucht zu rekonstruieren, was geschehen ist. Unerwartet steht seine Frau vor der Tür und will sich von ihm trennen. Es kommt zu einem langen Streitgespräch über die Gründe ihres Entschlusses, verbunden mit Rückblenden. Kein Horror, doch ist die Auflösung der Geschichte originell umgesetzt.
In der dritten Episode geht es um einen Ehemann, den schreckliche Alpträume quälen, in denen er kastriert oder von seiner Frau gefoltert wird. Bald kann er nur noch schwer unterscheiden, was real und was geträumt ist. Hilfesuchend wendet er sich an einen Psychologen. Regisseur Tom Savini („Night of the Living Dead“) liefert hier schon bizarre und harte Kost, die entsprechend geneigten ZuschauerInnen aber zusagen dürfte.
Reisen in menschliche Abgründe
In der vierten Episode werden ein kleines Mädchen und seine Mutter Zeuginnen eines tödlichen Verkehrsunfalls, bei dem ein junger Motorradfahrer mit einem Hirsch zusammenstößt. Im Anschluss fragt das Mädchen seine Mutter nach dem Sinn des Todes. Die Episode ist kein Horror, aber sehr atmosphärisch und beklemmend. Ob die Geschichte in diese Anthologie passt, darüber dürften die Meinungen auseinandergehen.
Episode Fünf handelt von einer ungewöhnlichen Serienmörderin, die drogensüchtige und obdachlose Frauen ermordet, um deren Lebenserinnerungen auf sich zu übertragen und aufzuschreiben. Die Geschichte ist technisch gut und schonungslos umgesetzt, sie bietet schmerzhafte Bilder.
Die letzte Episode handelt von der Beziehung eines widerwärtig verfressenen Mannes zu einer Frau, die ihn nicht mehr liebt. Süßigkeiten, Völlerei, das Fehlen jeglicher Tischmanieren und zum Schluss ein letztes Abendmahl – mehr soll hier nicht verraten werden. Eine sehr bizarre Geschichte, die nichts für Menschen mit empfindlichen Mägen ist.
Mehr davon!
Angesichts der Verschiedenheit der Episoden wird The Theatre Bizarre den allermeisten Liebhabern oder Gelegenheitsguckern von Horrorfilmen kaum komplett gefallen oder missfallen. Wem die Episoden überwiegend zusagen, der bedauert, dass der Film nach knapp zwei Stunden zu Ende ist. Aus dem eher geringen Budget wurde jedenfalls viel gemacht. Der Film hat sicher seine Schwächen und Längen, doch ist er ein ungewöhnlich kreatives und richtungsweisendes Werk. Es bleibt zu hoffen, dass in Zukunft mehr solcher Filme produziert werden – ob in Form von Anthologien oder Serien. Überraschend und erfreulich ist, dass The Theatre Bizarre von der FSK ungeschnitten eine „ab 18“-Freigabe erhalten hat, wodurch der Film hierzulande relativ leicht erhältlich ist. Möge die BPjM daran in Zukunft nichts ändern.
Patrick Henkelmann
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