Am 23. Oktober war es wieder so weit: Beim bislang dritten CampusSlam an der Ruhr-Uni drängten sich einmal mehr an die 450 Slam-Begeisterte im vollbesetzten KulturCafé und erlebten einen rauschenden Abend mit viel Wortwitz und rhetorischem Dynamit. Die bsz war für Euch dabei und sprach mit Wagma Sultansei, einer der VeranstalterInnen vom AStA-Kulturreferat.
Der eine oder andere Text ist, wie bei einem CampusSlam erwartbar, eng mit dem Uni-Mikrokosmos verzahnt. So unternimmt der RUB-Student Christofer Rott, der den Einzug ins Finale hauchdünn verpasst, einen Ausflug ins „Reich der Waschbetonpoeten“: „Wie schade, dass Beton nicht brennt – hat da einer an die Wand geflennt.“ Im Hip-Hop-Style eines Thomas D. trägt er spitzzüngig-souverän eine ganz eigene Interpretation des Motivs der vermeintlichen Brandresistenz des wichtigsten Baumaterials der Universitätslandschaft frei vor. Als einzige (poetische) Waffe „im heiligen Krieg gegen traumfressendes Grau“ benutzt der Slam-Performer „die Fotosynthese“, indem er„entfesselte Schlingen die Wände hinaufschlängeln“ lässt, bis das ‚letzte Gefecht’ von der vermeintlich verlorenes Terrain zurückerobernden Natur gewonnen wird: „Die Rebellion aus Chlorophyll“ überschwemmt „Foren und Plätze mit Biomüll“, sodass schließlich evident ist: „Beton brennt doch!“
Slammen gegen staatliche Bevormundung
Man mag es ungerecht finden, aber am Ende der zehn Beiträge umfassenden Vorrunde muss Christofer dem Horror-Geschichten verlesenden, schließlich Drittplazierten Essener „Marc mit C“ einen der drei Finalplätze überlassen. Dort belegt der Wuppertaler Zerbolesch, der die harte Lebensrealität schonungslos auseinandernimmt und selbst vor dem „Betäubungsmittelgesetz“ nicht haltmacht, den mindestens verdienten zweiten Platz: „Du weißt also am Besten, was gut für mich ist. Was mein Körper verkraftet, und was eher nicht. Und aus Rücksicht auf meine Gesundheit dürfen lediglich in etikettierten Flaschen abgefüllte Massenvernichtungswaffen das Land unsicher machen. Und für zwei Gramm Gras buchtest du mich ein.“ Nur der RUB-Studentin Beatrice Wypchol, deren eingängig vorgetragener Beitrag über das weitverbreitete Heuchlertum sogenannter Gutmenschen am Ende beinahe euphorisch vom vielköpfigen Publikum abgefeiert wird, muss sich Zerbolesch geschlagen geben.
Alle Macht der Publikumsjury?
Die hohen BesucherInnenzahlen sprengen bereits seit dem ersten CampusSlam im November 2011 die Kapazitäten des KulturCafés. „Wir hoffen, dass wir bald eine größere Location haben, so dass wirklich jedeR rein kann“, sagt Wagma Sultansei, eine der derzeit neun AStA-KulturreferentInnen. Zudem werde überlegt, die Slam-Veranstaltungen künftig auch online zu übertragen und größer aufzuziehen. Einstweilen ist die Slam-Euphorie jedenfalls ungebrochen: „Die Stimmung ist fantastulös, die Texte mitreißend. So darf das gerne immer sein“, kommentiert Philipp Dorok, als philmithut zweiter Sieger des zweiten CampusSlams im April, die Atmosphäre. Wagma Sultansei erklärt das große Interesse am CampusSlam vor allem mit der stilistischen Vielfalt der Beiträge und der zentralen Komponente einer Publikumsjury: „Gerade das macht einen Slam aus, vor allem weil das Publikum mit seinem unterschiedlichen Geschmack mitentscheiden kann.“ In der Vorrunde entscheiden fünf bis sieben zufällig ausgewählte JurorInnen aus dem Publikum über den Finaleinzug der Beitragenden. Im Finale gibt dann das Applausvolumen des gesamten Auditoriums den Ausschlag. Dass der Publikumsjury-Schuss in der Vorrunde auch für prominente Slam-Teilnehmende nach hinten losgehen kann, zeigt beim jüngsten CampusSlam nicht zuletzt das Ausscheiden eines routinierten ‚Promis‘ wie dem Münsteraner Studenten Andy Strauss, NRW-Landesmeister im Poetry Slam 2011 und zweifacher Gewinner des WDR Poetry Slams. Wagma Sultansei ist überzeugt: „Wie das Publikum entscheidet, kann man nicht beeinflussen. Dies macht einen Poetry Slam zu dem, was er ist. Aber natürlich ist es schade, dass einige anspruchsvolle Texte vielleicht nicht die Anerkennung erhalten, die sie verdienen.“ Vielleicht wäre das Konzept der Publikumsjury mit Blick auf das frühe Aus von Beitragenden, die ernstere Themen ansprechen, verbesserungswürdig. So bekam die Bochumer Slammerin Emel, die es beim vorletzten Mal ins Finale geschafft hatte, mit einem gut vorgetragenen, politisch spannenden, jedoch sehr bedrückenden Text über die aus Sicht eines Kindes beschriebene Exekution des Vaters die schlechteste Wertung des Abends. Um comedy-lastige Voten zu vermeiden, wäre es vielleicht ratsam, wenn sich ein Teil der Vorrundenjury-Mitglieder aus Campus-LiteratInnen und RUB-PhilologInnen zusammensetzen würde.
Gegen den Meinungsstrom
Jedenfalls ist zu hoffen, dass der CampusSlam an der RUB weiter wächst und das Uni-Grau nicht nur durch so manche Stilblüte bereichert – denn Slam-Poetry ist mehr als Wortkunst und versucht immer wieder, das enge Korsett des meinungspolizeilichen Mainstreams zu durchbrechen: „Die Freiheit der Meinung ist nur dann wirklich frei, wenn die Mehrheit sie teilt. Die Meinungspolizei. Und abseits des Weges steht der Ärger bereit, denn Freiheit… stirbt mit Sicherheit“, legt der Wuppertaler Slammer Zerbolesch im Refrain seiner geslammten Dystopie „Freiheit, Feigheit, Brüderlichkeit“ den Finger in die Wunde der Hegemonialdiskurse. Auf dass die Gedankenpolizei die wunderbare Wortwelt des Slams niemals zensieren möge!
Wer den letzten CampusSlam verpasst hat, kann sich übrigens mit dem nächsten von Sebastian23 moderierten Literatur-Event an der RUB trösten: So werden Emel und Zerbolesch auch bei der nächsten Lesung der Gruppe Treibgut – junge Literatur in Bochum am 28. November ab 20 Uhr im KulturCafé zu sehen sein.
0 comments