Die Alltäglichkeit der Lüge
Ich lüge, du lügst, er/sie/es lügt. Wir lügen. Ihr lügt auch, und sie erst recht. Jeder Mensch, heißt es im 2007 erschienen Buch „Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort – Die Weltgeschichte der Lüge“, sagt durchschnittlich 200-mal am Tag die Unwahrheit. Statistiken jedoch, so wollen uns der Volksmund und obendrein gar unser gesunder Menschenverstand weismachen, neigen ebenfalls zur Lüge; der Volksmund tut es sowieso, vom Menschenverstand ganz zu schweigen.
Robot statt Ballack!
Oh nein, es ist so weit: Das UEFA-Turnier im Herrenfußball, landläufig als „Europameisterschaft“ verklärt, hat begonnen. Welche Peinlichkeiten erwarten uns dieses Mal? Zu gut erinnere ich mich an den 4. Juli 2006, als das DFB-Team im Halbfinale des FIFA-Herrenturniers gegen die Auswahl des italienischen Verbands verlor. Der deutsche Mob bildete sich ein, dass „Deutschland“ gegen „Italien“ verloren hatte. Er zog „Nie-wieder-Piiiizaaaa“-grölend vom Public Viewing im Ruhr-Stadion zurück in die Innenstadt und trat dabei gegen Fensterscheiben von italienischen Restaurants. Eine grün-weiß-rot gekleidete junge Frau stand verschreckt in der Eingangstür: Sie sei mit Zigarettenstummeln und Steinen beworfen worden, berichtete sie.
Alles neu macht der Mai; und da es jetzt Juni ist, kann man nun würdigen, was der Mai so Neues brachte. In der Bilanz: Wir haben einen neuen Superstar, einen neuen Eurovision-Song-Contest-Winner und einen Reformentwurf zur Demokratie. In einem „spannenden Voting-Krimi“ setzten sich am Ende Thomas Godoj und der russische Beitrag durch. Wobei ist fast egal, denn ungerechtfertigterweise hat dies in den Medien deutlich mehr Niederschlag gefunden als ein kreativer Wahlreformvorschlag.
Wider Erwarten keine Einmannsportart
Eine Kolumne sollte Themen aufgreifen, welche die Leser bewegen. Dann liege ich mit dem nun folgenden Thema sehr richtig: Fußball! Schon bald werden sich Unmengen von Leuten zum Public Viewing bewegen. Damit ist Fußball wohl massenbewegend genug, um hier als Thema herzuhalten. Zugegeben, ich bin recht früh dran, aber das sind die anderen Medien, die jetzt schon über die Auswahl der Nationalmannschaft berichten, auch.
Studentisches Ausziehen
„Erwachsen wird man trotzdem“
Eine klassische Universitätsstadt ist die Blume im Revier sicher nicht. Mit dem alten Wort „Studienzeit“ assoziiert man jedenfalls andere Bilder als Fahrten in der überfüllten U35. Der klischeetypische RUB-Student ist Pendler, entweder aus Bochum selbst oder aus einer Nachbar-stadt; sein Leben verläuft im Wesentlichen genauso wie zu Schulzeiten. Wird man dadurch um eine notwendige Zäsur betrogen? Verpasst man eine Sprengung des alten Horizonts? Wir haben uns auf dem Campus umgehört.
Der 23jährige Markus aus Bochum bestätigt, dass sich Freunde und Freizeitaktivitäten durch den Studiumsbeginn nicht verändert haben. Mit „Unibekanntschaften“ unternehme er nichts. Sein Großvater, auch aus der Gegend, habe seinerzeit zwar noch an fünf verschiedenen Universitäten studiert, er selbst werde aber allenfalls ein Aufbaustudium im Ausland machen. Hat er etwas verpasst? Kaum, meint er, es wäre aber „bestimmt ganz cool“ gewesen, „mal aus Bochum rauszukommen“.
Aus einer kleinen Gemeinde im Sauerland kommt die 22jährige Anna, die, wie die Altvorderen, vielleicht einmal pro Halbjahr ihre alte Heimat sieht. Sie vermutet, sie sei selbstständiger als die Pendlerstudis. Sie habe früher lernen müssen, den eigenen Haushalt im Studentenwohnheim selbständig zu führen und ihre Angelegenheiten selbst zu regeln.
Matthias (23) kommt aus Essen, wohnt seit seinem vierten Semester ebenfalls in einem Studentenheim. Es wäre besser gewesen, sagt er heute, noch früher von Zu Hause wegzukommen, da er seit dem Umzug mehr Zeit für Studium und Rahmenaktivitäten habe. Seiner Ansicht nach verpassten Studierende, die nach wie vor zuhause wohnen, „definitiv“ etwas: sein Freundeskreis habe sich komplett verändert. Bekannte, die er im Studium und während des Engagements für die Hochschule getroffen hat, erlaubten etwa Gespräche auf höherem Niveau, ferner sei seine Freizeitgestaltung erlebnisreicher geworden. Freilich hat er Verständnis dafür, dass ein Wohnortwechsel für viele mangels Geld nicht in Betracht kommt.
Nüchtern sieht es Christian, 23, ein Kind der Stadt Dortmund. Er glaubt nicht, etwas verpasst zu haben. „Erwachsen wird man trotzdem“, außerdem sei er an der Uni, um „gescheit was zu lernen“; die Annehmlichkeiten des Wohnens nimmt er angesichts der Belastungen durch das Studium als große Erleichterung wahr.
Der öffentliche Personennahverkehr hingegen ist für den 26jährigen Sascha der Grund, Gelsenkirchen den Rücken zu kehren und in ein Wohnheim nach Bochum zu ziehen. Auch er glaubt an frühere Selbständigkeit durch das Wohnen fern von zu Hause, hält diesen und ähnliche positive Effekte aber für sehr stark abhängig von der individuellen Persönlichkeit des einzelnen Studenten. Er selbst vermutet, er hätte weniger neue, interessante Leute kennen gelernt, wäre er daheim geblieben.
Die 21jährige Angela aus Wattenscheid betont die Vorteile, die sich aus der Nähe der Uni zu den Schulen ergeben. Schon zu Schülerzeiten habe sie die Ressourcen der Uni, namentlich die Fachbibliotheken, für Facharbeiten nutzen können. Auch nennt sie das Schülerlabor und die Möglichkeit guter Schüler, parallel zur Abiturvorbereitung zu studieren. Zur Persönlichkeitsentwicklung meint sie, dass trotz des gewohnten Umfeldes der Studiumsbeginn immer eine Umstellung sei. Außerdem gilt: „Wir kommen noch früh genug weg.“
m Michael Jack
(post@michael-jack.de)
Ein (einigermaßen) hoher Geist palaverte einmal vom „Lumpenproletariat von Langendreer“. In diesem Bochums östlichstem Stadtteil würden doch „nur“ Studenten und „Gescheiterte“ leben. Harte Tiraden, die gewiss daher rührten, dass sich der Sprecher, ein Student, damals wohl selbst als Gescheiterten sah. Nichtsdestoweniger bleibt ein Fünkchen Wahrheit in seinen Worten: Die Bewohner des historischen Stadtteils mit den vielen Kirchen und dem für Ruhrgebietsverhältnisse beinah allgegenwärtigen Grünbewuchs verbindet eine Art Hassliebe mit ihrer selbst erwählten Heimat.
Zu betrachten oder auch (je nach Fakultät) analytisch zu zerpflücken war diese „geographisch-soziologische“ Gemengelage neulich nachts mal wieder allzu gut. Da hallten Pistolenkugeln durch die Langendreerer Nacht. Peng Boom Bang. In unmittelbarer Nähe zum Spielplatz „Hohe Eiche“ duellierten sich gegen 3 Uhr deutlich hörbar zwei Halbstarke mit tödlichen Waffen. Nichts Neues im Osten? Dafür war das Gezeter aber groß. Jene Schüsse unterbrachen den Schlaf nur kurz, viel aufreibender war ihr Nachhall.
Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit hatten die Verantwortlichen bereits kurz nach dem harschen Durchdringen der Nachtruhe einen Abgang gemacht, so schlau ist der Langendreerer Lazzaroni. Leider kennt auch der gemeine Anwohner hier seine Bandenkriege in (S-)Bahnhofsnähe zu gut. Schon Minuten später goutierten Gaffer die Gassen. Wer wollte nicht schon mal eine noch lauwarme Pistolenkugel anfassen? Anzunehmenderweise scheinen diese ähnlich angenehm anfassbar wie die frischen Brötchen am Morgen bei einem der gefühlten 25 Bäcker an der Alten Bahnhofsstraße. Herzlich willkommen, ihr schaulustigen Statisten, zur Live-Staffel von CSI: Bochum.
Wo so viel Auflauf war, durfte auch der Käse nicht fehlen. Bevor auch nur einer der Bordsteinkommandanten, die hier „Nachbarn“ heißen sollen, auch nur an Zeugenaussage denken konnte, patroullierten auch schon sieben (!) Polizeiwagen ziel- und planlos zwischen Unter- und Ümminger Straße. Dabei warnte der eine Beamte den anderen derart laut vor potentiell folgenschweren Fehlentscheidungen, dass der Sandmann endgültig in den Streik trat. „Den Spielplatz hatten wir schon, Heinz!“ Gut zu wissen. Als Provinz-Profikiller würde ich mich nun gerade dort verstecken.
In diesem Sinne, liebes Langendreerer Lumpenproletariat: Besinnt euch ob der wenigen mir verbliebenen Schlummerstunden auf das, was ihr wirklich könnt. Fahrräder klauen und Navis aus parkenden Autos schrauben. Dabei lässt man euch schließlich auch in Ruhe.
Kennzeichen D oder:
Können Autos kommunizieren?
Die moderne Kommunikationstheorie hält zwei Komponenten für unerlässlich wenn Kommunikation zustande kommen soll: Mitteilen und Verstehen. Dabei kann Kommunikation durchaus auch mit einem (kommunizierten) Verstehen anfangen. Man denke nur an Leute, die einem in der Fußgängerzone zulächeln und man lächelt ein wenig irritiert zurück und freut sich, dass man von so einem hübschen Menschen angelächelt wird, nur um dann zu merken, dass hinter einem selbst noch so ein wunderschöner Mensch spazieren geht, dem der hingelächelte Blick eigentlich gilt.
Diese Überlegungen sollen genügen, um nun den Blick frei zu bekommen auf das Verhalten von Ford Perfect. Ford Perfect, wie sicherlich alle erinnern, ist ein außerirdischer Autor für Reiseführer und in Douglas Adams Roman „Per Nahalter durch die Galaxis“ damit beschäftigt, einen Artikel über die Erde zu verfassen. Dieser Ford Perfect (übrigens nur ein Tarnname. In Deutschland hieße der findige Reisetipgeber Ford Taunus) hält nun die Autos für die dominierende Lebensform auf der Erde. Bei dem Versuch, ein solches Auto zu begrüßen, wird er von einem Angehörigen einer anderen Lebensform auf diesem Planeten davor errettet einfach überrollt zu werden. Der gute alte Ford hatte sich einfach auf eine Straße gestellt und ein Begrüßungsverfahren an ein Auto eingeleitet. Die Frage, die sich mithilfe moderner Kommuniaktionstheorien anschließen lässt lautet: Hätte Herr Perfect besser daran getan, nicht mitteilend, sondern verstehend auf das Auto einzugehen? Anstatt das Auto zu begrüßen, hätte Perfect auch auf die Kommunikationsversuche des Autos reagieren können. Aber wie?
Ein Blick auf das Kennzeichen des Wagens hätte Ford Perfect davon überzeugen können, dass die dort hingepinselten Zeichen eine gewisse Regelmäßigkeit aufweisen. Auch hätte er bemerken können, dass sich bestimmte Zeichen immer wieder wiederholen. Als superintelligenter Autor für intergalaktische Reiseliteratur hätte er die Mustern dieser Zeichen als Kommunikation oder genauer noch: als den mitteilenden Aspekt von Kommunikation auffassen können. Es wäre an ihm gewesen, ein Verstehen zu kommunizieren. Doch wie soll man eine Kombination wie „E-GO 1“ verstehen? Und was will das Auto mit dem Kennzeichen „BI-ER 2000“ mitteilen? Was reagiert man als außerirdischer Weltenbummler auf Eindeutigkeiten wie „S-EX 69“ (übrigens ein Kennzeichen, das an einem Porsche angeschraubt ist)? Angenommen Ford Perfect hätte sich für (kommuniziertes) Verstehen entschieden und schreit dem vorbeibrausenden Auto hinterher „Ja, lecker!“ oder „Nein, danke!“; hätte dann das Auto überhaupt noch Zeit gehabt, auf diese Mitteilung verstehend zu reagieren, etwa durch das betätigen der Hupe oder des Blinkers? Und wie lange hätte es dann gedauert, bis Ford Perfect gemerkt hätte, dass in den Autos auch noch sie steuernde Lenkvorrichtungen sitzen, oder anders gefragt: Wie lange kann man mit Autos kommunizieren? Eine Antwort auf diese Frage wird jeder geben können, der schon einmal mit Tempo 90 auf der linken Spur auf der Autobahn 1 unterwegs war. Die Kommunikationsversuche der anderen Autos werden bei dieser Anordnung vermutlich auf der gesamten Strecke kaum ein Ende nehmen.
Überhaupt bedarf es außerordentlicher Geschichtskenntnisse, um einige Kennzeichen überhaupt verstehen zu können. So werden Befürworter der französischen Revolution möglicherweise die Zahlenkombination 1789 gehäuft an ihr Kennzeichen anhängen. Nur mittels Milieuwissen wird es möglich sein, den Teufelssympathisanten anhand der Zahlenkolonne 666 zu identifizieren oder den eingefleischten VFL-Fan anhand der Kombination 1848 zu erkennen. Rein tautologische Affinitätsbekundungen auf Audi TT Nummernschildern mittels des Buchstabenkürzels TT oder von Porsche mittels 911 für ihren eigenen Fahrzeugtyp können als selbsterklärend außen vor bleiben.
Aber was, so könnte Ford Perfect fragen, veranlasst die Autos, immer wieder die gleiche Nachricht zu senden? Ganz einfach, wird man sagen können: Die Autos senden in dem Bewusstsein, dass Kommunikation logisch betrachtet mit Verstehen beginnt. Und so möge der geneigte Leser bitte anfangen, folgendes zu verstehen: „EN-DE 3210“.
Benz
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Glosse: An der Ruhr liegt die Kraft
Letzte Woche Freitag im Audimax: Banges Warten auf die Namensverkündung zukünftiger Hochschulen mit Prädikat „Elite“. Die Vorzeichen standen schlecht. Scheinbar niemand hat mit einem Erfolg bei der diesjährigen bundesweiten Exzellenzinitiative gerechnet. Und außer den Verantwortlichen einer großen Bochumer Bildungseinrichtung, deren kostenlose Zeitung ihr wahrscheinlich just in der Mensa sitzend mit Puztasose und Rodeomix vollkleckert, schien im Vorfeld nicht mal jemand großartig Interesse an einer außerordentlichen Förderung zu haben. Ein paar Doktoranden vielleicht noch, deren Grundlagenforschung ohne additionalen Kapitalfluss im Sande versinkt. Oder ein paar Weltfremde im Glauben sie bekämen als Absolventen einer Elite-Universität mehr Frauen ab oder schneller eine Festanstellung. Alles traurige Einzelschicksale.
Gnadenlos verkackt
Ein schweizer Professor (genauer: Prof. Dr. net. rat) am Lehrstuhl für allgemeine Mechanik hat es so formuliert: „Wenn die Ruhruniversität zu den Siegern zählte, wäre das so als gewinne der FC Basel die Championsleague.“ Hackl-Klaus sollte Recht behalten. Mal ganz davon abgesehen dass der Verfasser dieser Spalten nicht mal weiß ob es in Basel überhaupt ein professionelles Fußballteam gibt, hat natürlich die Ruhruniversität in der Endausscheidung gnadenlos verkackt. Rektor Weiler nannte es eine „äußerst knappe Entscheidung der Juroren“, ein „Fotofinish“ und bestimmt auch irgendwie so was wie „keine Schande gegen Aachen und Co den Kürzeren zu ziehen“. Als RUB’scher Black Friday 2K7 wird er in die Annalen eingehen. Ein Blick ins Audimax offenbarte neugierigen Augen an diesem Nachmittag dennoch einen Sekt- und Bierausschank in einem Maße, das darauf schließen ließ, dass „exzellent“ der Wortstamm der neudeutschen Wortkreation „auf Ex“ sein muss.
Wayne???
Wir in der bsz tragen das alles mit Fassung. Der Druck auf uns ist schon groß genug, sind wir doch Deutschlands einzige Studierendenzeitung die seit mehr als 40 Jahren regelmäßig erscheint und sogar einen Eintrag bei Wikipedia vorzuweisen hat. Nicht auszudenken wenn man nun auch noch den Namen unseres Blattes in einem Atemzug mit „Cambridge“, „Göttingen“ und „Elite“ nennt. Sind wir mal realistisch: In Aussicht gestellte Fördergelder in einer rauen Menge von 21 Millionen Einheiten europäischer Einheitswährung hätten unsere redaktionellen Missstände auch nicht behoben. Doktoranden haben wir nicht in unseren Reihen und auf das oben verwendete Adjektiv „weltfremd“ möchte ich aus Gründen, die mich selbst belasten nicht näher eingehen.
Bochum hat einfach andere Qualitäten. In der Ruhr siedeln wieder Lachse, ein netter junger Mann hat mir am Wochenende erzählt, dass er dabei ist ein Rugbyteam aufzubauen und Beton brennt nicht so gut. Fördergeld gibt’s keins, dafür hat unsere Uni aber seit den Britpoppern von „Kaiser Chiefs“ eine Hymne von Weltformat. Ruby Ruby Ruby Ruby. Davon kann Göttingen nur träumen.
pxb
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