Theater. Vergangenen Samstag auf Bochumer Bühnen: Hamlet verliert den Verstand, sein Onkel die Nerven und die Mutter befleckt die Familienehre. Geht das noch gut aus?
„Bochum hat Shakespeare-Tradition“, so heißt es laut Schauspielhausintendant Johan Simons. Da er sich vorgenommen hat, ein Programm mit viel Kraft zu gestalten, widmete er sich nun einem der persönlichsten Werke von William Shakespeare: Hamlet. „Es ist total aktuell, weil es so persönlich ist“, sagt Simons über das Werk, dass der englische Großmeister Shakespeare nach einem seiner Söhne benannt hatte, der jung verstorben ist.
Gerade die philosophischen Fragen, die in Hamlet stecken, haben Simons daher fasziniert und motiviert eine Bochumer Fassung zu erschaffen. Mit Sandra Hüller in der Titelrolle und gemeinsam mit dem Bochumer Schauspielhaus-Ensemble, wurde eine Inszenierung basierend auf den sehr direkten Übersetzungen von Angela Schanelec und Jürgen Gosch sowie mit Ausschnitten aus Heiner Müllers Hamletmaschine und unter der dramaturgischen Leitung von Jeroen Versteele erarbeitet. Dieser Prozess geschah im ständigen Austausch mit den Schauspieler*innen. So entstand ein sehr angenehmer, lockerer Ton innerhalb der Inszenierung von Johan Simons. Denn für ihn war es wichtiger, dass sich die Darsteller*innen während ihrer Rollenerarbeitung eher mit den Texten, als mit den Figuren identifizieren. Dieser Ansatz trug auch zu der Entscheidung bei, Sandra Hüller in die Rolle des Hamlets schlüpfen zu lassen. Sie war seine erste Wahl, denn neben dem Fakt, dass er es schön findet, mache es keinen Unterschied für die Inszenierung ob Hamlet männlich, weiblich oder divers sei. Er habe bei der Entscheidung keine Sekunde überlegen müssen.
Und die Besetzung ist hervorragend. Hüller als innerlich zerrissene Hamlet, die zeitweise die Worte des Geistes ihres ermordeten Vaters herausschreit, sorgt für Gänsehaut Momente. Ihr Leid wirkt sehr nachvollziehbar und berührend. Denn der Racheakt mit dessen Erfüllung Hamlet ringt, ist nicht der wichtigste Bestandteil des Stücks, sagt Simons. Vielmehr gehe es um Melancholie, Weltschmerz und das Verständnis, dass jede Sache eine Konsequenz hat. Auch Sandra Hüller findet das Stück und ihre Rolle dabei keinesfalls zynisch.
Mit musikalischer Untermalung von Mieko Suzuki wird die Inszenierung in Bochum besonders in das Stahl- und Kohlebauinspirierte, minimalistische Bühnenbild verwurzelt. Mit livegenerierten Klängen, erzeugt durch Eisenplatten, fallende Nägel, Samplen und DJ Technik werden auch Scoring Momente wie in Alfred Hitchcocks Psycho erzeugt und lassen das Publikum, zwischen den gesprochenen Szenen, einer tiefen, gespenstischen Gefühlswelt lauschen. Denn die musikalische Untermalung ist hier weniger Hintergrundgeräusch, als Zwischenspiel. „Mit der Sprache muss man sich die Musik verdienen“, ist Simons Begründung dafür. Daher wird die Musik in den Zwischensequenzen groß ausgespielt, statt während der Dialoge und Monologe Emotionen zu suggerieren.
Zeitlich befinden wir uns weder im Jahr 1602 noch im Jahr 2019, da eine Abstraktion des Materials eine größere Allgemeingültigkeit des Werks schaffen soll. Und so fühlt es sich auch an. Wer von den schweren Worten William Shakespeares sonst eher abgeschreckt ist, kann hier neuen Zugang finden. Die zweieinhalb Stunden des Stückes vergehen dabei wie im Flug. Obwohl Hamlet eigentlich eine Tragödie ist, darf man in Bochum bei Shakespeare auch hier endlich wieder lachen. Vorallem schauspielerisch macht es ungeheuren Spaß, dem Bochumer Ensemble zuzusehen.
:Christian Feras Kaddoura
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