Spielmesse. 350.000 Nerds, 200.000 m², 920 AusstellerInnen, ein gemeinsamer Grund: Jedes Jahr im August feiern Fans die internationale Gamingkultur. Ein Einblick in Neuheiten und VR-Innovationen.
Der junge Mann vor mir fährt eine klare Linie, was seinen Stil angeht: Haare bis an die Schulterblätter, ein imposanter Bart, ein Bandshirt. Der Rest der Kleidung: schwarz. Die Kopfbewegung: rhythmisch von vorne nach hinten. Aber ich bin nicht auf Wacken, und niemand von uns guckt auf eine Bühne – wir sind auf der Gamescom und blicken gebannt auf einen Bildschirm, auf den ein absurd aufgemotzter Cadillac – entschuldigung, Gundillac – vor einer Horde Zombies flieht. Dieser Umstand scheint die Passagiere nur wenig zu beeinflussen, und sicherlich ist er kein Grund, nicht zu rocken, zumal die großkalibrigen Gewehre, die der Gundillac auf die Zombies richtet, nur zum Takt der gespielten Musik feuern. Wir sind GamerInnen, wir sind MetallerInnen, und wir spielen „Double Kick Heroes“.
Im Grunde ist „Double Kick Heroes“ ein Musikspiel. Ähnlich wie in den bekannten Vorbildern „Rock Band“ oder „Guitar Hero“ läuft ein Hintergrundtrack, zu welchem im passenden Rhythmus-Tasten gedrückt werden, wobei jeweils die entsprechende Waffe abgefeuert wird. Ziel ist hier allerdings nicht, das Lied zu spielen, sondern die Band vor den Zombies zu schützen, die den Gundillac verfolgen. Das fand ich persönlich sehr machbar, woraufhin man mir mit einem erwartungsvollen Lächeln anbot, gegen den Boss zu kämpfen. Natürlich, da bin ich dabei! Hier macht das Spiel einen spontanen Sprung in der Schwierigkeit: Ab sofort muss ich den Gundillac selber steuern. Rocken? Klar, das kann ich. Dabei ein Auto fahren, auf Zombies zielen und Angriffen ausweichen? Keine Chance. Mein ungeübtes Auge kann sich nur auf eins konzentrieren, und schon nach nur kurzer Zeit liegt die Band zuckend auf der Straße. Ich bin nicht entmutigt, weit davon entfernt, aber hinter mir wartet schon der nächste Spieler.
„Double Kick Heroes“ wird noch in diesem Jahr auf Steam für Windows, Mac und Linux erscheinen und bietet neben der Story und dem Arcade-Mode auch die Möglichkeit, eigene Lieder einzubinden.
Virtuelle Geisterbahn
Ein paar Meter weiter geht es ruhiger zu: Zwei Sofas inklusive dazugehörigen Couchtischen, ein paar bequeme Barhocker und hinten eine abgedunkelte Ecke, aus der hin und wieder ein kurzer, erschreckter Schrei zu hören ist. Hier bietet die chinesische Firma Cubes Technology ihr Horrorspiel „Abyss“ zur ersten Demo an. Das Setting ist für den Horrorfan nichts neues: Ein altes, verlassenes Haus, ein unheimliches, kleines Mädchen, und draußen ein Gewitter. Die Atmosphäre ist stimmig und mulmig, wenn sie auch wenig originell anmutet. Während ich das Haus erkunde, finde ich immer wieder Schriftstücke und Fotos. Eine Geschichte lässt sich noch nicht zusammenreimen – vage Andeutungen von Morden, Dämonen und dem Teufel verdichten sich in das Gestammel einer Verrückten. Um mich herum schlagen Türen zu, Regale fallen um und der Regen prasselt an die Fensterscheiben. Die Immersion funktioniert schon wirklich sehr gut, und das ist auch nötig, denn Gameplay ist nicht zu finden – zumindest die Demo ist das, was der/die GamerIn zynisch „Walking Simulator” nennt. Ich treffe keine Entscheidungen und spiele nicht wirklich, sondern bewege mich nur über einen fest vorgegebenen Weg. Dieser endet für mich in einem Badezimmer. Die Tür schlägt zu und ein unheimliches Summen liegt in der Luft, während sich die Badewanne langsam mit Blut füllt. Ein Arm greift aus dem roten Nass nach mir, dann ein zweiter, und als ich so weit von der Wanne zurückgewichen bin, wie es nur geht, springt mich ein kleines Mädchen an. Ich werde mit den Worten “Patrick? Das war es.” jäh in die Realität zurückgeholt. „War gut“, sage ich: „Richtig gute Atmosphäre.” Das Team lächelt mich an. Wir sind GamerInnen, und wir sind Horrorfans. Ein beeindruckendes Erlebnis, aber ich wünsche mir ein wenig mehr Interaktivität, zumal das Endprodukt etwa 20 Stunden Spielzeit bieten soll – mir fällt kein anderes, aktuelles Spiel ein, das so eine lange Zeitspanne für die Geschichte ansetzt, geschweige denn ein VR-Spiel. Die Übersetzung ist ebenfalls alles andere als professionell, aber bis zum Release sollte sich das relativ leicht beheben lassen.
„Abyss“ hat noch keinen Releasetermin und wird für HTC Vive und Playstation VR erscheinen.
Tief im Kerker
Kaum bin ich aus dem Haus entkommen, schon wechsle ich wieder meine Realität. Diesmal spricht mich im Vorbeigehen Jimmy von Stenkross Studios an, ob ich nicht ihren neuen VR-Titel „Down to Dungeon“ ausprobieren wolle. Dieses isometrische Action-Adventure für Gear VR erhofft sich, das looten und leveln, was aus Spielen wie „Diablo“ oder „Path of Exile“ bekannt ist, in die virtuelle Realität zu bringen. „Hast du irgendwas davon gespielt?”, fragt mich Jimmy. „Natürlich”, sage ich, „Ich hab hunderte von Stunden in Diablo 2 verbracht. Da kommt Diablo 3 nicht ran.” Jimmy stimmt mir lachend zu. Wir sind uns einig. Wir sind Gamer. Ich setze das Headset auf und drehe mich in Richtung des virtuellen Spieltisches. Sofort fällt hier die Ästhetik auf: Ich bewege einen niedlichen, kleinen Abenteurer auf einem Spielbrett durch verschiedene Räume, kämpfe mit Schwert und Armbrust gegen Skelette und ähnliche Monstrositäten und sammle Schätze ein. Im Grunde ein erfolgversprechendes Rezept, aber für mich persönlich leider wenig interessant: Die Angriffe wirken nicht flüssig, mit kurzen Pausen zwischen den Aktionen, und die Steuerung an sich ist etwas schlüpfrig, als würde mein Charakter permanent über Eis rutschen. Das größte Problem jedoch war das Inventar: Da ich den Cursor über meine Kopfbewegung steuere, die Beschreibung der Gegenstände aber versetzt angezeigt wird, kann ich die Werte nicht lesen – ich weiß also gar nicht, was ich da gefunden habe, und ob es besser oder schlechter als meine momentane Ausrüstung ist. Außerdem macht mich stutzig, dass mir „Down to Dungeon“ als mobiles Spiel angepriesen wird – vielleicht bin ich etwas altbacken, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass sich die Verwendung von VR-Headsets in der Öffentlichkeit durchsetzt.
Game Over
Ich bedanke mich für die Demo und verlasse die über Gebühr beschallte Halle, um in der relativen Ruhe des Außenbereichs mein Mittagessen einzunehmen. Um mich herum Menschen jeglicher Couleur. Ich öffne meine eingeschweißten Erdnüsse und biete einem jungen Paar neben mir ebenfalls eine Hand voll an. Sie spielt Heiler ranked 800, erzählt sie, er Tank/CC. Ich nicke wissend. Ich spiele Tank/Initiator unranked. Wir verstehen uns. Wir sind GamerInnen.
Gastautor :Patrick Gerk
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