Politische Belletristik und zum Brüllen komische Slam Poetry: Bei der jüngsten Ausgabe von Treibgut – Literatur von der Ruhr gab es am 2. November im KulturCafé neben Auszügen aus Sascha Rehs „Gegen die Zeit“ über den Pinochet Putsch auch Texte von aktuellen und ehemaligen RUB-Studierenden wie Tim Szlafmyca, Melody Martinez oder Ulrich Schröder zu hören.
„Jetzt rennt Ihr, rennt schnell ihr Hunde!“ Die Ansage der PutschistInnen ist knallhart. Chile 1973. Die demokratisch gewählte sozialistische Regierung wurde gestürzt. Es herrscht Chaos. Während Präsident Salvador Allende im Regierungsgebäude seine letzten Worte an die Bevölkerung zurecht legt, tobt draußen die blutige Konterrevolution: MG-Geknatter, Explosionen und Menschen, die an die Wand gestellt werden.
Mittendrin, der junge deutsche Industriedesigner Hans Everding. Der hatte vorher die Revolution unterstützt und wurde beauftragt, ein Datennetzwerk aufzubauen. Nun wird er von der Militärjunta Pinochets verhört. Was werden die KonterrevolutionärInnen mit den Infos anstellen und haben ihn FreundInnen an die neuen Machthaber verraten?
Für seinen Roman „Gegen die Zeit“ über die Aufbruchstimmung und blutige Niederschlagung in Chile 1973 wurde Sascha Reh mit dem Literaturpreis Ruhr 2015 ausgezeichnet. „Ich habe mir die Ereignisse nicht ausgedacht, sondern das hat sich genau so ereignet“, erzählt der ehemalige RUB-Student, der ein Jahr nach dem Pinochet-Putsch in Duisburg geboren wurde. Der authentischen Schilderung hören auch die GästInnen im KulturCafé gespannt zu.
Bierselige Elegie
Neben Sascha Reh standen auch NachwuchsliteratInnen von Treibgut auf der Bühne: Melody Martinez lässt expressionistisch ihre Gedanken und Sorgen schweifen, Ulrich Schröder stößt bei der Entrümpelung auf alte Stalingrad-Orden und bergmännische Trinkgefäße, die sich als Urnen entpuppen.
Marock Bierlej präsentierte dagegen Lyrik – „oder zumindest das, was ich davon halte. Es sind Reime drin“. Der Titel wurde kurzerhand abgekupfert: „Gegen die Zeit“ – unter augenzwinkerndem Nicken von Sascha Reh abgesegnet. Dann gab es Vers-Kloppe für Zeit- und Termindruck: „Ich verklopp‘ dich und sauf‘ mir dann einen drauf.“ Eine existenzielle wie bierselige Elegie.
Noch mehr Nonsens lieferte dann nur noch Tim Szlafmyca ab. Der RUB-Student hat zuletzt den Roman „Die Relativität der Gleichzeitigkeit“ herausgebracht. Darin geht es um Bier und Liebe. Aber vor allem um Ersteres: „Das Wort Bier kommt 84 mal im Buch vor – dazu Wörter wie probieren mitgezählt.“ Neben ein paar Auszügen aus seinem Werk sorgte das institutionalisierte „RTL II der Literatur“ noch mit gepflegten Gaga-Versen für ein paar Lacher im KulturCafé .
Ein gelungener Leseabend: Treibgut berzeugt mit einem vielfältigen Bühnenprogramm aus politischer Belletristik und unterhaltsamer Slam-Performance. Mehr davon!
Am 12. November geht es weiter mit Prosa und Lyrik von Treibgut. Dann lesen Calvin Kleeman, Caroline Königs oder Melody Martinez aus ihren neuesten Texten vor.
:Benjamin Trilling
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