In Alfred Goubrans Roman „Das letzte Journal“ wird ein alternder Schriftsteller von einer alten Jugendliebe und der faschistischen Vergangenheit seines Landes eingeholt. Auszüge seines neuen Buches las der österreichische Autor am 13. Mai in der Goldkante.
Romane, die eine bedeutungsschwere Verschlungenheit von tragischem Individuum und den blutigen Jammertälern der jüngsten (zumeist deutschen) Geschichte beschwören, wurden in den letzten Jahren haufenweise auf den Büchermarkt geworfen. Von Bernhard Schlinks „Der Vorleser“ bis Reinhard Jirgls „Die Unvollendeten“ waren sie zugleich routinierte Gesinnungsfingerübungen im Feuilleton.
Goubrans Roman „Das letzte Journal“ gehört nicht unbedingt in diese Kategorie. Gleichwohl dieser mit der Lebensgeschichte des in die Jahre gekommenen Schriftstellers Aumeier beginnt, der nach 41 Jahren auf seine Jugendliebe Terése trifft und in Rückblicken und Gesprächen Enthüllendes über die eigene als auch die kollektive Vergangenheit erfährt.
Konvolut von Reflexionen
Straffe Erzählstränge spinnt Goubran in seinem Buch nicht. Es ist weder ein historischer Roman noch Anklageschrift. Wie in vorhergehenden Werken trägt der in Wien lebende Autor auch in „Das letzte Journal“ ein essayistisch, abschweifendes Konvolut aus Gesellschaftskritik, Geschichtsanalyse und philosophischer Verortung in der eigenen Zeit zusammen.
Im Archiv seines einstigen Widersachers Schwarzkogler stößt Aumeier auf Quellen und Berichte über die Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei, das Prager Pogrom 1389 oder die Verbrennung des böhmischen Reformators Jan Hus 1415. Aumeier setzt sich damit in den Einträgen seines Journals auseinander – in einem kulturpessimistischem Duktus, der auch Goubran selbst nicht fremd ist, wie der 52-Jährige etwa zuletzt in einem Interview in der studentischen Literaturzeitschrift „Fusznote“ durchscheinen ließ: „Die Zeichen des Verfalls sind unübersehbar, jeder europäische (Gegenwarts)-Roman der letzten 20 Jahre spielt in den Ruinen der abendländischen Kultur.“
Aufarbeitung des Austrofaschismus
Aumeiers Antagonist, „der alte Schwarzkogler“, wird im Roman als Repräsentant des Proporz-Systems der österreichischen Nachkriegszeit eingeführt: Vom Austrofaschismus fand ein stiller, reibungsloser Übergang zum demokratischen Alltag statt. Während eine Aufarbeitung ausblieb, ziehen sich die Fäden der austrofaschistischen Zeit bis in das oligarchische System, in dem die Macht durch die beiden Volksparteien verwaltet wird. Diese sind aktuell bekanntlich in der Krise, das Land droht, wie bereits Ungarn und Polen, wegzubrechen.
„Manchmal kann man durch die Vorhänge der Träume in die Dunkelheit sehen“, heißt es an einer Stelle. Goubrans „Journal“ ist ein solcher traumwandlerischer, trübselig, fast linksmelancholischer Blick auf die politische Wirklichkeit. „Die beste aller Zeiten ist natürlich diejenige, in der man lebt“, philosophiert Goubrans Figur. Diese Zeit scheint allerdings ihr Ende zu finden.
:Benjamin Trilling
Das letzte Journal“
Braumüller, 2016
384 Seiten,
21.90 EUR
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