Bild: Brauchen AktivistInnen einen gesellschaftsphilosophischen Anstoß? Der Philosoph und Politikwissenschaftler Frieder Otto Wolf (rechts) stellt die Frage nach dem Nutzen von Manifesten. , Frieder Otto Wolf stellte im Bahnhof Langendreer das „Konvivialistische Manifest“ vor Foto: bent

„Intellektuelle Konterrevolution“: Eine Gruppe frankophoner WissenschaftlerInnen und Intellektueller schrieb das „Konvivialistische Manifest“. Der Philosoph Frieder Otto Wolf stellte das Machwerk im Bahnhof Langendreer vor – ein neo-hippieesker wie amüsanter Mix aus moralischem Antikapitalismus und spirituellem Utopismus.

Nein, ein Gespenst wollte nicht wirklich umgehen: „Es gab zwar einen starken publizistischen Effekt“, erzählt der Berliner Philosoph und Politikwissenschaftler Frieder Otto Wolf. In den sozialen Bewegungen und bei AktivistInnen habe das Werk aber keine große Resonanz erzielt: „Die fühlen sich bevormundet, die haben ihre eigenen Diskurse und brauchen dieses Manifest nicht.“

Geschrieben wurde das konvivialistische (con-vivere, lat: zusammenleben) Manifest im vergangenen Herbst von einer Gruppe französischer oder zumindest frankophoner Intellektueller, die im Konsens einen alternativen Gegenbegriff gegen die neoliberale wie utilitaristische Ideologie und Wachstums-Doktrin aufstellen wollten. „Konvivialismus ist ein Gegenbegriff gegen die zerstörerische Entwicklung von Mensch und Natur“, erklärt Wolf. „Definiert als Suche nach einer Kunst des Zusammenlebens, die eine Kooperation untereinander unterstützt und es ermöglicht, sich ohne Wachstum zu orientieren und sich um Andere und die Natur zu kümmern.“

Zugespitzt findet sich das schon im ersten Kapitel, wo Adorno von den Füßen auf den Kopf gestellt wird: „Es gibt schon ein richtiges Leben im falschen.“

Synthese der Ideologien

Das Manifest bezieht sich unter anderem stark auf die Schriften des Wachstumskritikers Ivan Illich, der auch den Begriff des Konvivialismus prägte, und versteht sich als Synthese der großen Ideologien des 19. und 20. Jahrhunderts: Liberalismus, Sozialismus (aus dem Französischen besser als Sozialdemokratie zu übersetzen), Kommunismus und Anarchismus. Darauf aufbauend werden dann vier Grundfragen erläutert: Die moralische, die politische, die ökonomische und die ökologische. Zu diesen vier Aspekten gesellt sich, wie es im Manifest heißt, – und hier schlägt die neohippieske Stunde – eine Grundfrage: „Jedem steht es frei, diesen vier Fragen eine weitere hinzuzufügen, nämlich die nach dem Verhältnis zum Übernatürlichen oder Unsichtbaren: die religiöse oder spirituelle Frage.“

„Wirkliches Alte-Männer-Gewäsche“

Bei so schwammigen Postulaten bleibt es dann meist auch: Sowohl Feminismus, Anti-Kolonialismus, aber auch Gewerkschaften oder die Arbeiterbewegung werden nicht aufgegriffen. „Ich gehe davon aus, dass es Herrschaftsverhältnisse noch gibt“, kommentiert auch Wolf den „streng normativen“ Text, der auf eine konkrete politische Analyse verzichte: „Darüber, wie man gesellschaftliche Verhältnisse angreifen kann, erfährt man nichts.“ Zudem kritisierte Wolf, dass die AutorInnen, größtenteils ältere Herren, davon ausgehen, dass junge AktivistInnen erst eine gesellschaftstheoretische Perspektive der Überwindung brauchen: „Das ist wirkliches Alte-Männer-Gewäsche.“

Trotz der naiv anmutenden Hippie-Folklore sind das inspirierende Gedanken, die ab sofort frei zur Verfügung stehen (unter www.transcript-verlag.de/content/oa/ts2898_oa_content.pdf). Denn vielleicht will ja doch noch ein Gespenst umgehen.

:Benjamin Trilling

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