Bild: Dunkle Wolken über dem KanzlerInnenamt: Die Toten kommen nach Berlin. , Kommentar: Kunstintervention: Wer hat die Grenze überschritten? Foto: Kolja Schmidt

Das Zentrum für politische Schönheit (ZPS) erregt seit Beginn der vergangenen Woche einmal mehr Aufsehen mit einer Performance auf der Grenze zwischen Kunst und Politik. Das KünstlerInnenkollektiv, das sich dem Thema Flucht und Migration verschrieben hat, überführt tote Einwanderer von den Außengrenzen der EU nach Berlin, um sie dort menschenwürdig zu bestatten.

Dies geschieht mit Einverständnis der Verwandten der in anonymen Gräbern verscharrten Menschen, um ihnen im Tod die Würde zurückzugeben, die ihnen im Leben verweigert wurde. Dafür hat die KünstlerInnengruppe nach eigenen Angaben die Identität der Leichen recherchiert. Zwei der „gescheiterten MigrantInnen Europas“ aus Syrien sind bereits in Berlin nach islamischem Ritus beigesetzt worden. Am vergangenen Sonntag sollte der Platz vor dem Kanzleramt in Berlin in ein Mahnmal aus Gräbern für „die unbekannten Einwanderer“ umgestaltet werden (siehe Artikel oben).

Das Problem nach Deutschland holen

„Wir holen das Problem nach Deutschland. Dahin, wo die wichtigsten Entscheidungen gegen die Humanität Europas gefällt werden, die Konsequenzen aber nicht anlanden. Wir werden sie empfangen und ihre Würde retten – und damit unsere eigene“, schreibt das ZPS in einer Erklärung. Das klingt fast wie ein O-Ton aus der Rede des Bundespräsidenten Joachim Gauck vom  20. Juni anlässlich des „Weltflüchtlingstags“. Anders als das politische Establishment lassen die KünstlerInnen ihren Worten Taten der Menschenwürde folgen, anstatt Kriegsschiffe gegen Flüchtlingsboote zu entsenden. Die Radikalität der Tat verschreckte in der vergangenen Woche einige KommentatorInnen in den Medien: Darf man Leichen in Italien ausbuddeln und dann nach Deutschland karren, um sie hier unter größtem medialen Interesse wieder unter die Erde zu bringen? Stellt man die Toten nicht zur Schau und nimmt ihnen damit (ein zweites Mal) ihre Würde? Wird hier nicht die Grenze der Kunst endgültig überschritten?

Radikaler Humanismus

Das ZPS folgt dem Prinzip des „radikalen Humanismus“, der nicht freundlich nach Menschenrechten fragt, sondern sie erkämpfen will. Insofern ist das Problematische an dieser Aktion nicht die aggressiv herbeigeführte mediale Aufmerksamkeit für die würdevollen Beerdigungen, sondern die „höfliche Unaufmerksamkeit“ der deutschen Öffentlichkeit ihren „Unbekannten Einwanderern“ und ihren menschenunwürdigen Schicksalen gegenüber. In anonymen Gräbern am Wegesrand in den Süd-EU-Ländern verscharrt, monatelang in kaputten Kühlhäusern übereinandergestapelt, in Müllsäcken vergessen und als Druckmittel zur Erpressung von Geständnissen den Angehörigen vorenthalten: So sieht die Realität der toten MigrantInnen aus der Sicht des ZPS aus. Aus dieser Perspektive erscheint es folgerichtig, dass die Toten per Crowdfunding aus ihren unwürdigen Gräbern geholt und in Deutschland bestattet werden. Die Frage, wer den Flüchtlingen ihre Würde genommen und wer eine Grenze überschritten hat, erscheint aus Sicht des ZPS damit hinreichend beantwortet.

:Gastautor Kolja Schmidt

 

1 comments

  1. Ein Anarchist

    Für die Lebenden kämpfen
    Das Zentrum für politische Schönheit macht ziemlich gut Arbeit um an die Toten errinneren. Was aber viel wichtiger ist, ist jetzt für die Lebenden zu kämpfen – den Widerstand für eine Gesellschaft ohne Grenzen, Nationen/ Staaten und Ausbeutung durch den Kapitalismus voranzutreiben. Wir alle werden unterdrückt – es ist Zeit alles zu verändern: https://www.youtube.com/watch?v=K1F1C8VQ2GM

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