Eine märchenhaft anmutende Flucht vor dem grauen Betonklotz in die Querenburger Natur überzeugte die Jury des diesjährigen Blicke-Festivals im Endstation-Kino in Langendreer vom 19. bis 23. November: Nico Joana Webers „Markasit“ wurde mit dem Spielfilmpreis Ruhr ausgezeichnet. Der Preis für den besten Dokumentarfilm ging an „Nadeshda“, in dem authentisch das Leben einer Roma-Familie in Bulgarien geschildert wird.
Das passte zum Festivaltitel: Es kommt auf den Blick an, ja, die Perspektive macht es. Das gilt auch für den Dokumentarfilm „Caracas“, der bei der Preisverleihung unberücksichtigt blieb: Die venezolanische Hauptstadt sollte für Maximilian Feldmann eigentlich der Versuch sein, mit einer Reise seine Depression zu überwinden. Doch es kommt alles anders: In Venezuela verschlimmern sich die depressiven Ansätze – nach wenigen Wochen geht es einfach nicht mehr, er muss zurück nach Deutschland in ärztliche Behandlung. Wie Regisseur Feldmann diesen persönlichen Lebensabschnitt filmisch darstellt, ist hochspannend: Seine Krankheit wird mit allen Umständen aus der Perspektive von Familie und FreundInnen geschildert. Was wie eine Überwindung der eigenen Krankheit wirkt, ist aber auch als filmische Umsetzung des Themas berührend: Die freundschaftlichen und familiären Stimmen wechseln zwischen Ängsten, Bedauern aber auch Heiterkeit. Immer geben sie jedoch einen lebensnahen Blick auf die Lage des Betroffenen wieder.
„Krieg den Palästen, Friede den Hütten“ – auch in Oberhausen
„Das übersteigt die Vorstellungskraft!“ – so lautet nicht nur der Titel von Tom Brieles Doku, sondern auch der Satz, der den Kulturpessimisten Robert Bosshard als Hauptpro-tagonisten in dem Streifen des Öfteren über die Lippen geht: Denn nach einem Besuch der „Big Air Package“ im Oberhausener Gasometer, der größten Innenraumskulptur der Welt, reflektiert er wütend mit Tom Briele bei einer Pommes für 2,80 Euro in der dekadenten Cola-Oase des Centros in Oberhausen über die hiesige Kulturlandschaft, „über die Privatisierung öffentlicher Räume und die Vernichtung freien Denkens“. Schließung von Jugendkulturzentren und Prestigeprojekte als Millionengräber – am Ende greift der schräge Filmessay auf ein Büchner-Zitat zurück, das auch die Jury bei der Preisverleihung des Querdenker-Preises überzeugte: „Wir finden, es kann nicht oft genug gesagt werden: ,Friede den Hütten, Krieg den Palästen‘.“
In einer zu armseligen Hütte lebt auch die Roma-Familie in der Doku „Nadeshda“ von Anna Frances Ewert und Falk Müller. Der Film zeigt den Versuch der Familie, dem Ghetto zu entfliehen und in eine bessere Wohnung zu kommen. Ungetrübt erscheint in den Szenen vor allem der Rassismus in der Stadtbevölkerung, mit dem die Familie konfrontiert ist.
Der Spielfilmpreis Ruhr ging an Nico Joana Webers „Markasit“, der einen befremdlichen wie märchenhaften Blick auf die RUB wirft – als Fluchtweg in die Natur. Das strich auch die Jury heraus: „Wie ein Raumschiff liegt die Ruhr-Uni vor uns in der Landschaft.“ Die RUB-Skyline, versunken im Grün. So kann zumindest der Film dem grauen Campus-Alltag entfliehen. Denn auf die Perspektive kommt es an.
:Benjamin Trilling
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