Bild: Friedensspiele in der Konfliktregion: Winterwunderland mal anders., Winter-Olympia 2014 in Russland: Putins Denkmal fordert viele Opfer Karte: mar

Eiskunstlauf unter Palmen: Am 7. Februar beginnen die XXII. Olympischen Spiele im subtropischen russischen Kurort Sotschi. Die Kritik an dem Spektakel übertrifft vielleicht sogar die der Sommerspiele 2008 in Peking. Um Demokratie und Menschenrechte steht es in Russland schlecht, die Kosten für die Veranstaltung übersteigen die der letzten Winterspiele um ein Vielfaches, bei den Bauarbeiten wurde die Umwelt zerstört, Tausende BauarbeiterInnen wurden nicht bezahlt und der Austragungsort selbst ist mit seinen palmengesäumten Sandstränden nicht nur außergewöhnlich, sondern auch noch an der Grenze zur terroristisch aktivsten Gegend Russlands gelegen.

 

Sand- und Kiesstrände, Palmen, schwefelige Heilquellen; ein beliebter Kurort seit der Zarenzeit, Stalins Sommerresidenz; 30 Kilometer zur Grenze zu Abchasien, wo 2008 noch Krieg herrschte, eine halbe Tagesreise von Dagestan entfernt, wo Russ­land mit militärischen Mitteln gegen den Terrorismus kämpft. Sotschi (russisch Сочи) ist also der „perfekte Ort" für das größte Wintersportereignis, das die Welt gesehen hat: „Putin suchte und suchte und dann fand er ihn: den einzigen Ort in Russland, wo es keinen Schnee gibt, um dort die Olympischen Winterspiele auszurichten“, frotzelt man im Ort. So ganz stimmt das allerdings nicht: Zwar sind etwa der Hauptort Sotschi und nahe Küstenstädtchen wie Adler (Адлер) in Russland beliebte Badeorte, aber das nur 40 Kilometer entfernte Örtchen Krasnaja Poljana, wo einige der alpinen Wettbewerbe stattfinden werden, ist von den Bergen des Nordkaukasus umgeben, deren Gipfel mehr als 3.000 Meter hoch sind. Normalerweise sind diese auch schneebedeckt – doch noch fünf Tage vor Beginn heißt der Niederschlag im Kaukasus Regen, die Pisten (und Straßen) sind nicht mit Schnee bedeckt, sondern mit Matsch. Theoretisch aber hat die Lage durchaus ihren Reiz. Zudem sollen die Spiele die kompaktesten seit Langem und mit den kürzesten Wegen werden. Allerdings sind sie auch mit Abstand die teuersten.

Hotel Svetlana - Sochi Project

Das Hotel Svetlana in Sochi zu Sowjetzeiten und heute. Foto: The Sochi Project

Wenn man die Schmiergelder abzieht, ist Olympia nicht so teuer

„Es stimmt natürlich nachdenklich, wenn die Kosten fast höher sind als die Kosten für die fünf vorangegangenen Winterspiele zusammen“, zitiert Spiegel Online Bundesinnenminister de  Maizière, der deshalb zu etwas mehr Bescheidenheit aufruft. Wladimir Putin denkt aber nicht dran: Er, der selber gerne Gast an der „russischen Riviera“ ist, der die olympische Fackel in den Weltraum geschickt hat, und nicht nur Cool Runnings nach Sotschi holt (Jamaika ist tatsächlich wieder mit einer Bobmannschaft dabei), sondern auch die Fußball-WM 2018 und ab diesem Jahr auch die Formel 1, kleckert nicht, sondern klotzt ganz gehörig. Deshalb kostet Sochi 2014 auch 37 Mrd. Euro (manche Quellen sprechen sogar von bis zu 50 Mrd.). So gut wie jede einzelne Sportstätte musste neu errichtet, Sowiet-Sanatorien zu Sternehotels umgebaut, die marode Infrastruktur erneuert werden. Praktisch wurde die ganze Stadt, die ganze Gegend am Reißbrett neu geplant.

Doch diese Bauten verschlangen nicht allein diese gewaltige Summe. BeobachterInnen und JournalistInnen gehen davon aus, dass ein Gutteil der Projektgelder den Weg vom russischen Staat zu den BauunternehmerInnen findet, von dort aber nicht weiter zu den Baustellen. Nachweisen lässt sich die Korruption juristisch wirksam nicht.

Mit leeren Händen nach Tadschikistan

Wo das Geld aber definitiv nicht landet – und das hat sogar das Internationale Olympische Komitee (IOC) eingeräumt –, das ist in den Lohntüten zehntausender BauarbeiterInnen. Vorwiegend aus zentral­asiatischen Staaten nach Sotschi zum Bau der Sportpaläste angereist, wurden sie Berichten der ARD zufolge nach Jahren unter „extremen Arbeitsbedingungen“ ohne Lohn in ihre Heimatländer zurückgeschickt. Das olympische Komitee versprach, die Zahlungen nachzuholen. Die ARD-Reporter sind skeptisch, wie das vonstatten gehen soll, wo viele von den Betroffenen in abgelegenen Dörfern wohnen und über kein Bankkonto verfügen.

Russland als Zivilisationsmotor

Abgelegen und fast ausgestorben ist Abchasien. 2008 hat sich die autonome Republik von Georgien unabhängig erklärt. Anerkannt haben das allerdings nur Russland und eine illustre Runde von vier weiteren Ländern (Nauru, Tuvalu, Venezuela und Nicaragua). Georgien selbst betrachtet die Region immer noch als eigene Provinz. Die Grenzen allerdings sind dicht, Russland ist Abchasiens einziger Kontakt zur Welt. Entsprechend erhoffen sich die Menschen dort einen Aufschwung im Nimbus der nahen Olympiade. Bis jetzt leben die Menschen in den dortigen Dörfern noch in Zuständen, die der/die MitteleuropäerIn als mittelalterlich zu bezeichnen geneigt wäre.

Allah ist groß – aber Putin größer?

Weniger begeistert von Putins Prunkparade ist die Bevölkerung in Teilen Russlands. Denn auch das größte Land der Erde hat mit abtrünnigen Provinzen zu kämpfen. Doku Umarow, selbsternannter „Emir des Kaukasus-Emirats“ und Kämpfer für ein islamisches Tschetschenien hat angekündigt, die Olympischen Spiele mit allen Mitteln zu verhindern. Dieses Ziel will er „mit maximaler Gewalt“ durchsetzen. In Sotschi selbst sollen sich bereits islamistische potentielle SelbstmordattentäterInnen befinden. Putin setzt vor Ort den Geheimdienst FSB und massive Polizeipräsenz ein sowie auf volle Überwachung.

Den SportlerInnen bleiben viele wohlverdiente Medaillen zu wünschen. Allerdings haben diese Spiele mehr als nur eine Kehrseite.

:bszempfehlung

Die AraberInnen nennen den Kaukasus das „Gebirge der Sprachen“, weil dort so viele Völker mit ihren eigenen Sprachen leben. Leider nicht immer friedlich, vor allem wenn es um territoriale Interessen geht. Der Fotograf Rob Hornstra und der Autor Arnold van Bruggen entwickelten das „Sotschi-Projekt“ – ein Buch, das zeigt, in was für eine Gegend das IOC seine Winterspiele geschickt hat: in den Kaukasus, eine Region zwischen Krieg und Tourismus. Die Fotos zeigen Bauernhöfe aus Wellblech, die Hotels aus Glas weichen mussten; Menschen, die aus ihrer Heimat fliehen mussten und Menschen, die ihre Zukunft in Sotschi suchen. Ihr Atlas zeichnet in bisweilen beeindruckenden, aber nicht beschönigenden Bildern und mit Texten zwischen Reisebericht und Portraitsammlung, wie viele unterschiedliche Welten in diesem faszinierenden Teil der Erde nebeneinander existieren.

Rob Hornstra, Arnold van Bruggen: „The Sochi Project. An Atlas of War and Tourism in the Caucaus“. Aperture, 412 Seiten, ca. 47 Euro.

thesochiproject.org

 

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