Bild: Melbourne 2012: Papua und UnterstützerInnen demonstrieren für ein unabhängiges West-Papua., Indonesiens Gewaltherrschaft in West-Papua Foto: Wikimedia Commons / Nichollas Harrison

Um die 3.000 schwer bewaffnete Polizisten und Soldaten bewachen in tropischem Klima das Areal der größten Goldmine der Welt. Jedes Jahr werden mehrere Milliarden Dollar durch das dort geförderte Gold und Kupfer verdient. Jeden Tag werden dort hunderttausende Tonnen giftige Rückstände erzeugt, welche die Gewässer und das Grundwasser in der Umgebung vergiften. Trotz der starken Bewachung wagen sich regelmäßig kleine Gruppen von Rebellen aus dem nahe gelegenen Dschungel, um Sabotageakte und Anschläge gegen die Mine durchzuführen. Ihren gefährlichsten Gegner stellen die Spezialeinheiten des Militärs dar, von denen sie schon seit langem gnadenlos gejagt werden. Ein schmutziger Krieg wird geführt, in dem verzweifelte Rebellen mit Speeren, Bögen und Jagdgewehren gegen eine moderne Armee samt Elitetruppen, Hubschraubern und Flugzeugen kämpfen. Ein Konflikt mit geringer Intensität, von dem kaum jemand in Europa etwas weiß, der aber bereits über 100.000 Todesopfer gefordert hat. Ein Konflikt zwischen den Interessen eines Staates und der Existenz indigener Völker.

Bei der Gold- und Kupfermine handelt es sich um die Grasberg-Mine in West-Papua, der Westhälfte der nördlich von Australien gelegenen Insel Neuguinea, der zweitgrößten Insel der Welt. Während die Osthälfte Neuguineas zum Staat Papua-Neuguinea gehört, wird West-Papua schon seit einem halben Jahrhundert von Indonesien besetzt gehalten, kolonisiert und ausgebeutet – was für die dort lebenden indigenen Papua-Völker brutalste Unterdrückung und drohende Auslöschung bedeutet. Indonesien geht es um den Zusammenhalt seines Staatsgebietes sowie um die Grasberg-Mine, deren Betreiber, das US-Unternehmen Freeport-McMoRan, der größte Steuerzahler Indonesiens ist (und sich daher wenig um Umweltschutzgesetze scheren muss). Weder das Leid der Papua noch die Zerstörung der Natur West-Papuas haben für die Regierung in Jakarta jemals eine Rolle gespielt.

Foto: Wikimedia Commons / Alfindra Primaldhi

Der Fluch des Kolonialismus

Dem Drama um West-Papua (auch West-Neuguinea genannt) ging das Zerbröseln der niederländischen Kolonialherrschaft in Asien voraus. Das heutige Indonesien, die ehemalige Kolonie Niederländisch-Indien, wurde 1949 nach vier Jahren des Guerillakrieges unabhängig, der von den indonesischen Nationalisten der Partai Nasional Indonesia (PNI) betrieben worden war. Die PNI-Führer hofften seinerzeit, das gesamte Gebiet der Kolonie mit seinen über 6.000 bewohnten Inseln unter ihrer Herrschaft vereinen zu können. Die PNI-Losung „von Sabang bis Merauke“ dient bis heute als Definition des indonesischen Staatsgebietes und als Eckpfeiler der indonesischen Innenpolitik. Gemeint ist ein Indonesien, das von der Stadt Sabang in der Provinz Aceh, der westlichsten Stadt des Landes, bis zur im Süden West-Papuas gelegenen Stadt Merauke reicht. Dabei stand West-Papua noch bis 1963 unter niederländischer Verwaltung und sollte eigentlich 1970 in die Unabhängigkeit entlassen werden (eventuell mit dem damals von Australien verwalteten Papua-Neuguinea vereint).

Die Landung indonesischer Truppen im Frühjahr 1962 vereitelte jedoch die geplante Unabhängigkeit: Um einen neuen Krieg zu vermeiden sowie, auf Druck der USA, übergaben die Niederlande West-Papua 1963 an Indonesien. Die auf dem noch kaum entwickelten Inselteil einheimischen Papua-Völker wurden von Indonesien von Anfang an nicht als gleichwertige Menschen angesehen. Zwar ist Indonesien ein Vielvölkerstaat, in dem über 300 Ethnien im Geiste der Pancasila-Staatsideologie als Teile einer gemeinsamen Nation leben sollen, doch werden die Papua von den meisten IndonesierInnen als minderwertig betrachtet. Dies liegt zum einen an der geringeren zivilisatorischen Entwicklungsstufe Neuguineas, zum anderen schlicht an Rassismus – die Papua ähneln in Physiognomie und Hautfarbe den australischen Aborigines und sehen damit deutlich anders aus als die asiatischen IndonesierInnen. Hinzu kommen die religiösen Anfeindungen gegen die teilweise animistischen Papua im überwiegend islamischen Indonesien.

Die Knechtung der Papua

Schon kurz nach der Übernahme West-Papuas durch Indonesien wurden die Papua massiv in ihren Grundrechten eingeschränkt und ihre noch im Entstehen befindliche nationale Identität wurde von den Behörden als zu bekämpfende Bedrohung eingestuft. Auf die ersten Unruhen reagierten die indonesischen Sicherheitskräfte mit drastischer Gewaltanwendung, was bald zu tausenden Todesopfern führte. Zudem kam es durch die fehlerhafte und diskriminierende indonesische Verwaltung zur bis heute andauernden Verelendung der Papua. 1964 formierte sich der Widerstand gegen die Besatzung in der Organisasi Papua Merdeka („Organisation für ein freies Papua“, OPM), die bis heute sowohl politisch als auch bewaffnet für die Unabhängigkeit West-Papuas kämpft.

Das zwischen den Niederlanden und Indonesien 1962 geschlossene New Yorker Abkommen enthielt zwar die Bedingung, dass die Papua bis 1969 in einem Volksentscheid unter Aufsicht einer UN-Mission über ihre Zugehörigkeit zu Indonesien oder ihre Unabhängigkeit entscheiden durften. Die „Act of Free Choice“ genannte Abstimmung im Juli 1969 wurde in West-Papua jedoch als „Act of No Choice“ bekannt: Die mehr als eintausend aus den Stammesführern West-Papuas ausgewählten Wahlmänner wurden im Vorfeld durch Bestechung, Terror, Folter und Morddrohungen dazu gebracht, einstimmig zugunsten Indonesiens abzustimmen. Die UNO akzeptierte den Ablauf und das Ergebnis der Abstimmung, wobei ausgerechnet die Niederlande und Australien nun lobbyistisch die Position Indonesiens unterstützten.

Der Westen Papuas: Dort befindet sich auch die Grasberg-Mine. Grafik: ck

Eine düstere Zukunft

Im Zuge des 1969 von Indonesien zwecks Konsolidierung des Staatsgebiets begonnenen Umsiedlungsprojektes „Transmigrasi“ sind bis heute beinahe sieben Millionen EinwohnerInnen der Hauptinseln (vor allem von Java) auf die anderen Inseln umgesiedelt. Auf West-Papua besteht die knapp drei Millionen Menschen zählende Bevölkerung infolgedessen nur noch etwa zur Hälfte aus Papua, mit abnehmender Tendenz. Doch auch abgesehen davon und von der weltgrößten Goldmine wäre ein Verzicht Indonesiens auf West-Papua undenkbar: Nach der Abspaltung Osttimors im Jahre 2002 würde eine weitere Abspaltung angesichts der Unabhängigkeitsbewegungen in mehreren Teilen Indonesiens wohl tatsächlich zum Auseinanderfallen des Staates führen. Als Alternative zum utopischen Ziel der Unabhängigkeit bliebe somit lediglich ein Ende der Diskriminierung der Papua innerhalb Indonesiens, ihre volle Gleichberechtigung samt weitestgehender Entschädigungen für erlittenes Leid. Traurig, dass auch diese Option wohl utopisch genannt werden muss.

Patrick Henkelmann

 

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