Prof. Dr. Ralf Gold, Direktor der Neurologischen Universitätsklinik am St. Josef-Hospital in Bochum, erreichte mit seiner europaweiten Zulassungsstudie zu einem neuen Medikament gegen Multiple Sklerose (MS) einen ersten Erfolg: Daclizumab, ein monoklonaler Antikörper, soll die Wahrscheinlichkeit eines MS-Schubes bei einem Patienten oder einer Patientin um 50 Prozent senken.
Die Krankheit mit den tausend Gesichtern: Multiple Sklerose. Weltweit leiden rund 2,5 Millionen Menschen – allein in Deutschland liegt die Prävalenz (Häufigkeit) bei 149 Erkrankten pro 100.000 Einwohner (ca. 122.000 Erkrankte) – an der entzündlichen Erkrankung des Nervensystems, die bei jedem/jeder PatientIn ein anderes Krankheitsbild annimmt. „Bislang verfügbare Quellen und Schätzungen gehen von 120.000 bis 140.000 MS-Erkrankten in Deutschland aus. Nach neuen Zahlen, die das Bundesversicherungsamt auf der Grundlage von pseudonymisierten Versichertenstammdaten der gesetzlichen Krankenkassen ermittelt hat, könnte die Prävalenz der MS in Deutschland schon im Jahr 2010 deutlich höher gelegen haben“, heißt es auf der Internetseite der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft). Unter Umständen könnte die Krankheitshäufigkeit in Deutschland mittlerweile bei bis zu 200.000 Erkrankten liegen. Die Krankheit verläuft in den meisten Fällen schubförmig – das bedeutet, dass immer wieder, über Jahrzehnte hinweg, eine oder auch multiple Entzündungsherde im Nervensystem auftreten. Oft ist das Nervengewebe eines/einer Erkrankten nach dem Schub vernarbt (sklerosiert). Die Vernarbung zieht verheerende Folgen nach sich: Symptome können zum Beispiel Sehstörungen sein, Taubheitsgefühle, Schmerzen, Lähmungen, Spastizität, Sprechstörungen, Funktionsstörungen der Blase, des Darms und der Geschlechtsorgane, psychische Störungen und Formen der Demenz. Für die Forschung ist MS bis zum jetzigen Zeitpunkt ein großes Rätsel: Ungeklärt ist bislang die Ursache von MS und unentdeckt die Heilung der unberechenbaren sowie heimtückischen Erkrankung.
„Daclizumab unterdrückt das Immunsystem nicht“
In 76 Zentren in ganz Europa und in Indien, unter der Studienleitung der Neurologie des RUB-Klinikums St. Josef-Hospital, erprobten ForscherInnen an insgesamt 600 PatientInnen den Wirkstoff Daclizumab. Das Ergebnis: Bei den PatientInnen, die ein Jahr lang, alle vier Wochen, 150 mg Daclizumab einnahmen, verringerte sich das Schub-Risiko um 57 Prozent. Außerdem reduzierte sich auch die fortschreitende Behinderung um 50 Prozent und die Anzahl neuer Entzündungsherde in Hirn und Rückenmark sank um ca. 40 Prozent. Nun wird es eine zweite Zulassungsstudie mit 1800 PatientInnen geben. Dann erfolgt die Zulassung der Daclizumab-Therapie.
Einem/einer MS-PatientIn stehen mehrere, wenn auch nicht hinreichend effiziente Therapiemöglichkeiten zur Verfügung: Eine Schubtherapie, eine Immunmodulation und Immunsuppression und/oder eine symptomatische Therapie. Eine Schubtherapie erfolgt nur dann, wenn ein Schub bereits ausgebrochen ist. Die Entzündung kann lediglich gehemmt werden, die Schubtherapie kann aber den Langzeitverlauf der Krankheit nicht positiv bedingen. Bei einer symptomatischen Therapie werden, wie der Name schon sagt, ausschließlich die unterschiedlichen Symptome der Krankheit behandelt und nicht die Krankheit an sich. Die Symptomtherapien sind folglich breit gefächert: Unter zahlreichen anderen stellen medikamentöse, operative oder ergotherapeutische Maßnahmen mögliche Symptomtherapien dar. Auch die Schmerzbehandlung gehört zu den Symptomtherapien. Immunmodulationen und Immunsuppressionen hingegen sollen neue neurologische Defizite unterbinden und die Ausweitung bereits bestehender Defizite aufschieben. Dementsprechend ist die Behandlung mit Daclizumab eine Form der Immunmodulation und unterscheidet sich somit von den Behandlungen mit anderen Arzneimitteln, wie zum Beispiel Tysabri oder Fingolimod: „Daclizumab unterdrückt das Immunsystem nicht, sondern fördert die körpereigene Regulation durch natürliche Killerzellen“, erklärt Prof. Dr. Ralf Gold.
Die Vorteile der Therapie mit Daclizumab-Spritzen seien, Gold zufolge, die hohe Reduktion der Schubrate und die verlangsamte Behinderungsprogression. Es handle sich um einen potentiell neuen Wirkmechanismus für eventuelle Unterformen der MS. Wie bei jedem anderen Medikament kann es auch bei der Behandlung mit Daclizumab zu Nebenwirkungen kommen: Die Leber eines Patienten entzündete sich schwer, bei einem anderen Patienten kam es zu einer Hautentzündung.
Keine Heilung in Sicht?
Es gibt mittlerweile zwar vereinzelte Medikamente und Behandlungsmöglichkeiten bei MS, welche die Schübe für eine begrenzte Zeit aufhalten oder die Schmerzen lindern können; jedoch gibt es noch keine Möglichkeit, den Krankheitsverlauf zu stoppen, geschweige denn, die Auswirkungen eines Schubes oder aller Schübe rückgängig zu machen. Prof. Dr. Ralf Gold bleibt aber optimistisch: Er ist davon überzeugt, dass es der Forschung in den nächsten Jahrzehnten gelingen werde, einen Weg zu finden, zumindest die Schübe „zum Stillstand zu bringen“. Es liefen momentan die ersten Studien zur Regeneration. Vor allem für die schleichenden Formen der Multiplen Sklerose sei die Forschung nach besseren Medikamenten unabdinglich. Leider sei eine Heilung der Krankheit noch nicht in Sicht.
Die Daclizumab-Studie zeigt, wie wichtig es ist, MS-Forschung weiterhin zu fördern.
Helfen, Spenden und Informieren unter:
www.dmsg.de
0 comments