Warum sollte man noch den Weg in eine Buchhandlung auf sich nehmen, wenn man doch jedes gewünschte Buch bequem von seinem plattgesessenen Schreibtischstuhl im Internet bestellen kann? In einer Buchhandlung kann man in Büchern blättern und wird fachkundig beraten. Dann ist ein Buchladen noch der Ort, an dem man BücherfreundInnen trifft und an dem Literatur gelebt wird. Dass die Beratung in den großen Ketten eher den Wünschen der Verlage genügt als denen der KundInnen, ist bekannt. Nun setzt die Mayersche in der Bochumer Innenstadt auch noch die Lese- und AutorInnenreihe „Wort-Café“ ab.
„Meine Leidenschaft gilt der Literatur“, erzählt Heike Wulf, die Frau hinter dem Wort-Café-Konzept. „Und dem BVB“, fügt sie augenzwinkernd und doch aufrichtig hinzu. Während sie die zweite Leidenschaft vor allem im Stadion auslebt, nimmt das geschriebene Wort und alles, was damit zusammenhängt, den größten Teil ihres Tagewerks ein. 1998 hat Wulf mit dem Schreiben angefangen und 2011 einen Band mit Kurzgeschichten herausgebracht („Am Abgrund ist die Aussicht schöner“). „Ich habe meinen – gut bezahlten – Beruf als Chefsekretärin irgendwann an den Nagel gehängt, um mich ganz der Literatur zu widmen“, fährt sie fort. Jetzt steht sie kurz vor dem Abschluss ihrer Ausbildung zur Literaturpädagogin, knüpft AutorInnennetzwerke, fördert Talente – wie sie so erzählt, merkt man, dass ihre Leidenschaft echt ist – und organisiert Lesungen und Lese-Events, wie eben das Wort-Café.
Limericks und jede andere Art von Text
Als die Dortmunderin 2009 gefragt wurde, ob sie nicht im (inzwischen geschlossenen) Irish Pub Limericks eine Lesung organisieren möchte, beschloss sie, nicht bloß eine normale Lesung oder einen Poetry Slam zu veranstalten: „Es ist gut, dass es das beides gibt, aber ich wollte etwas Neues machen, und so entwickelte ich das Konzept zum Wort-Café.“ Als die Kneipe 2011 schließen musste, zog das Wort-Café in die Mayersche Buchhandlung und expandierte von dort aus auch in die Filialen nach Bochum und Essen. Im Prinzip verbergen sich hinter dem Namen drei Arten von Veranstaltungen. Zum einen gibt es das „Open Wort-Café“, eine offene Bühne für jedermann und -frau. „Ich wollte, dass bei mir der 15-jährige genauso auf der Bühne stehen kann wie unsere bisher älteste Teilnehmerin mit 92 Jahren.“
Jedem/jeder AutorIn stehen zehn Minuten zur Verfügung, seine/ihre Texte, „zwei Kurzgeschichten oder vier Gedichte“, zum Besten zu geben. Der Unterschied zum Poetry Slam ist, dass die Texte erst vom Publikum gefeedbackt und anschließend von einer fachkundigen Jury bewertet werden. Damit sind Texte und Zielgruppe andere als beim Slam. Die Jury stimmt über die besten Texte des Abends ab, die gesammelten GewinnerInnen eines Jahres aus allen drei Städten werden in der Anthologie „Best of Wort-Café“ veröffentlicht. Die 2012er-Ausgabe erscheint in den nächsten Wochen.
Neben dem Open Wort-Café und der ‚herkömmlichen‘ AutorInnenlesung, welche die zweite Teilveranstaltung im Rahmen der Reihe ist, gibt es noch den „Einwurf“. Die ZuschauerInnen werfen 11 Begriffe in den Raum und Freiwillige müssen innerhalb von 45 Minuten Texte schaffen, die diese Wörter enthalten. „Da bemerkt man ein wenig meine Fußballaffinität“, lacht die BVB-Anhängerin. In der Zwischenzeit unterhält ein „Starter“ das Publikum, einE AutorIn, die auf bestem Wege zu einer Buchveröffentlichung ist.
Was kein Bestseller ist, wird nicht benötigt
Ein interessantes Konzept, die Förderung (nicht nur) junger Talente, zwischen 30 und 40 BesucherInnen pro Veranstaltung – und dennoch kündigte die Mayersche-Filiale in Bochum die Zusammenarbeit auf. Und das, obwohl sie auf ihrer Homepage wirbt: „Besonders hervorzuheben: Das Wort-Café […] hält hier mehrmals im Jahr Hof. Kommen Sie vorbei und lassen Sie sich begeistern!“ „Ich schätze, ich bin da dem Rotstift zum Opfer gefallen“, vermutet Heike. Das erscheint verwunderlich, sind solche Veranstaltungen doch optimale Werbe-Events. Pressepräsenz, der Anschein Literatur als Kunst und nicht als Ware zu behandeln und Gäste, die während der Veranstaltungen noch just ein Buch mitnehmen – alles Argumente, die einer Buchhandlung im Konkurrenzkampf gegen Online-Versandhändler helfen sollten.
Die Geschäftsführung in Bochum sieht das anscheinend anders. Es bleiben noch zwei Termine, der 2. Mai mit Open-Wort-Café und der 6. Juni mit einer AutorInnenlesung zum Thema Urlaub. Heike Wulf ist aber von ihrer Idee überzeugt: „Es wäre jammerschade, das hier in Bochum einfach sterben zu lassen. Es kamen auch schon Leute auf mich zu, die bedauerten, dass es zu Ende sein soll. Die Bochumer sind ja nicht weniger an Literatur interessiert als die Dortmunder oder Essener.“ So ist die Leseratte auf der Suche nach einer neuen Spielstätte. Bis zum Sommer hat sich hoffentlich eine Möglichkeit gefunden, Menschen mit der gleichen Leidenschaft zusammenzuführen, Talente zu fördern und zu verhindern, dass die kulturelle Landschaft Bochums nicht eine Blüte verliert.
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