Zwischen 1936 und 1938 verfasste der britische Science-Fiction-Pionier H.G. Wells zahlreiche Essays und Schriften, die sich mit der möglichen Existenz einer zukünftigen Weltenzyklopädie beschäftigen. Veröffentlicht wurde die Sammlung unter dem Titel „World Brain“. Wells beschreibt in seinem Buch die Vision eines Weltgehirns, das als autonomes, synthetisches, frei zugängliches und permanentes System eine nahezu grenzenlose Informationsnutzung und Speicherung ermöglicht. Eine Fiktion, die durch das Internet, moderne IT-Systeme und Google zur Realität geworden ist.
Am Ende von Wells’ Vision steht ein möglicher Weltfrieden, der durch die große Enzyklopädie getragen wird. Die Möglichkeit, Informationen und Wissen uneingeschränkt transferieren und abrufen zu können, sei die beste Ausgangssituation, um dieses Ziel zu erreichen, so der Tenor seiner Schriftsammlung. Eine revolutionäre Idee, die auch andere AutorInnen und FuturistInnen in ihrem Wirken beeinflusste. 1962 veröffentlichte der britische Science-Fiction-Autor Arthur C. Clarke sein Buch „Profiles of the Future“, in dem er sich auch Wells’ Vision widmete. Neben der Schaffung einer möglichen Weltenzyklopädie im Jahr 2000 prophezeite Clarke auch den Bau eines Supercomputers. Dieser soll es den Menschen ab 2100 ermöglichen, komplizierte Aufgaben und Probleme zu lösen. An und für sich eine schöne Idee, die sehr an die künstliche Intelligenz HAL 9000 aus Clarkes und Kubricks „2001: Odyssee im Weltraum“ erinnert.
Der Stand der Dinge
Greifbarer als der mögliche Bau eines Supercomputers im Jahr 2100 sind die Erkenntnisse des Weltwirtschaftsforums. Dieses tagte im Januar des vergangenen Jahres in Davos, einem kleinen Ort im schweizerischen Kanton Graubünden. Dort wurde auch das Thema „Big Data“ behandelt und diskutiert. Was „Big Data“ eigentlich ist, lässt sich relativ einfach erklären: Es handelt sich um enorme Datenmengen. Die meist personenbezogenen Daten sind eine wahre Goldgrube, die es Unternehmen ermöglicht, komplexe Kundenprofile zu erstellen und dadurch neue Verkaufs- und Marketingstrategien zu entwickeln. Unternehmen wie Google und Facebook zählen zu den größten Datenlieferanten. Ein gefundenes Fressen für Firmen wie IBM, Apple, Infosys und SAP, die Profit aus dieser neuen Ressource schlagen wollen. Bereits jetzt fördern Regierungen in Europa, den USA und Asien Projekte und Forschungen in diesem Gebiet in dreistelliger Millionenhöhe. Für die kommenden Jahre wird hier ein enormes Wachstum erwartet.
Für Ben Reason und Jeremy Walker vom Netzwerk „Livework“ sind Daten das neue Öl. Wenig verwunderlich, dass jedeR etwas vom Kuchen abhaben möchte. Das deutsche Softwareunternehmen SAP hat bereits ein Datenbanksystem (Hana) entwickelt, das nahezu jede Art von Analyse auf Knopfdruck möglich werden lässt und das binnen kürzester Zeit. Gerade für Unternehmen, die über einen enormen Kundenstamm verfügen, bieten sich hierdurch ungeahnte Möglichkeiten, aber auch Abgründe. Bisher ist unklar, wie sich der Themenkomplex „Big Data“ mit Fragen des Datenschutzes und Urheberrechtes vereinbaren lässt. Ohne ausreichenden Schutz und ein angemessenes Maß an Transparenz könnte aus diesem neuen Wirtschaftszweig ein wahrer Albtraum werden.
Screenshot: polarstarfilms, Google and the World Brain Trailer, YouTube
Auch in diesem Jahr wird das Weltwirtschaftsforum erneut in Davos tagen,
und zwar vom 23. bis zum 27. Januar 2013
Das Ende einer Vision?
Vermutlich haben sich Wells und Clarke das „World Brain“ anders vorgestellt. An Daten, die getauscht, gehandelt und gestohlen werden, haben sie sicherlich nicht gedacht. Trotz der aktuellen Entwicklungen und der melancholischen Stimmung, die „Big Data“ bei DatenschützerInnen und UrheberrechtlerInnen auslöst, bietet der Themenkomplex auch einen positiven Aus- und Rückblick. Das Internet hat zahlreiche Brücken geschlagen und vieles möglich werden lassen. Sein Potential ist noch lange nicht erschöpft. Es ist zu der großen Weltenzyklopädie geworden, die Wells einst prophezeite. Zumindest in diesem Punkt hat sich seine Vision bewahrheitet.
Der britische Dokumentar-Filmemacher Ben Lewis stellte am 18. Januar 2013 auf dem diesjährigen Sundance-Film-Festival (17. bis 27. Januar 2013) in Park-City, Utah seinen Dokumentarfilm mit dem Titel „Google and the World Brain“ vor. Neben dem „Traum, das gesamte menschliche Wissen an einem Ort zu bündeln“, thematisiert der Film auch das Google-Book-Projekt und die urheberrechtlichen Probleme, die dieses Projekt aufwarf und noch immer aufwirft.
Der Trailer zu diesem vielversprechenden Film ist hier zu finden:
http://youtu.be/1vxIveocxjM
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