„Gleicher und ungleich zugleich“, so hieß die internationale Tagung, welche am 6. und 7. November an der RUB stattfand, veranstaltet von der Marie-Jahoda-Gastprofessur für internationale Geschlechterforschung, dem Gunda-Werner-Institut der Heinrich Böll Stiftung NRW und der Research School der RUB. Der Untertitel „Neukonfiguration von Macht und flexibilisierten Ungleichheiten“ machte den Pluralismus bereits deutlich, der in den Vorträgen, Workshops und Diskussionen angesprochen wurde. Internationale RednerInnen, gemischtes Publikum; die Tagung hatte einiges zu bieten und war fantastisch organisiert.
Das Zauberwort der beiden Tage lautete Intersektionalität. Doch was meinten die Vortragenden damit? Intersektionalität fasst die Überschneidungsmomente verschiedener Diskriminierungsformen zusammen. Eine schwarze Muslima hat es in Deutschland also schwerer als eine weiße Christin. Aber wenn die Frau, die dem Islam angehört, aus der Oberschicht kommt, die andere aus der Unterschicht, dann können sich die Mechanismen verschieben, andere Probleme entstehen. Und nur weil eine Frau hellhäutig, akademisch und bürgerlich ist, ist sie nicht frei von Diskriminierung, denn sie bleibt ja eine Frau.
Solidarität ist gefragt
Brigitte Aulenbacher, Professorin der Soziologie aus Linz, machte in ihrem Eingangsvortrag am Beispiel der seit 30 Jahren existierenden feministischen Zeitschrift „Wir Frauen“ fest, dass „ein solidarisches ‚Wir‘ heute mehr denn je“ von Bedeutung sei. Zwar scheine Geschlecht in der Theorie keine Rolle mehr zu spielen, die Realität aber sehe ganz anders aus. Die kapitalistische Gesellschaftsordnung fordere und fördere Ungleichheiten, dabei stütze sie eine eurozentristische und androzentristische Gesellschaft der bürgerlichen Gleichheitsordnung. „Moderne Gesellschaften argumentieren mit einem Gleichheitspostulat, setzen es aber nicht um“, so die Soziologin. Aulenbacher forderte mehr Solidarität und weniger ‚Ich‘, um der zunehmenden kapitalistischen Entsolidarisierung entgegenzutreten. Welche Probleme gerade in der Abgrenzung zu MigrantInnen entstehen würden, machte die Marie- Jahoda-Gastprofessorin für internationale Geschlechterforschung, Birte Siim aus Dänemark, am Beispiel der skandinavischen Länder deutlich. Die Arbeitslosenquote vonMigrantInnen sei dort im Vergleich zu eingeborenen SkandinavierInnen, was zu Ausgrenzungen und Projektionen führe. Siim sprach von nötigen postnationalen Veränderungen in Europa, um das „Othering“ zu unterbinden und den damit zunehmenden Rechtspopulismus.
Die „Elite“
Über die Situation von Top-Karrierefrauen und die Transformation moderner Geschlechterverhältnisse referierte die Göttinger Soziologie-Professorin Andrea Bührmann. Die Frauenquote im Top-Management liegt in Deutschland bei 2,4 Prozent. Diese Karriere-Frauen würden für ihre Familien die stereotypen Modelle der bürgerlichen Familie übernehmen, nur sei es hier der Ehemann, der sie unterstützt, Haus und Kinder hütet, während sie Karriere mache. „Frauen im Top-Management haben keine andere Wahl, als so zu sein, wie sie sind“, kommentierte Bührmann diese Familienmodelle. Dabei sei auch zu beachten, dass die Posten nicht von Aufsteigerinnen besetzt würden, „die bürgerliche Bildungselite versorgt Frauen mit Management-Jobs.“ Auch Andrea Bührmann regte zu einem neuen Sehen an, indem wir Analysen der Intersektionalität anwenden. So sei eine Rekonstruktion von gesellschaftlichen Strukturen möglich.
Globale Aspekte
Die globalisierungskritische Soziologin und Publizistin Christa Wichterich machte sich in ihrem Beitrag für eine feministische, politische Soziologie stark. Sie plädierte für eine Rückbesinnung auf den politischen Anspruch, der unter der aktuellen politischen Situation wegrationalisiert werde. Dass neue Ungleichheiten entstehen, machte sie unter anderem am Beispiel der Leihmutterschaft deutlich: US-amerikanische Paare, die keine Kinder bekommen können, suchen in Katalogen ihre „ideale“ Leihmutter aus, die für sie gebärt. Dabei würden auch Kategorien wie Klasse und Migration eine entscheidende Rolle spielen – Selektion deluxe. Wissenschaftliche Impulse müssten laut Christa Wichterich den Eingang in die Politik finden, um für die Gesellschaft wirken zu können.
Aber was nun?
Ungleichheiten wurden benannt, sie werden in der Soziologie analysiert und auf Tagungen wie dieser wird über die Ergebnisse reflektiert. Aber wo bleibt die Praxis? Wie kann die schwarze Muslima dieselbe Anerkennung erhalten wie die weiße Christin? Wir kennen nun das Zauberwort: Intersektionalität. Aber wie kann sie zu gesellschaftlichen Veränderungen beitragen? Reichen Solidarität und einflussreiche Soziologie, die auf die Politik wirkt, dafür aus? Diese Frage blieb leider offen.
0 comments