Es heißt, der Ubu-Mann wüßte nicht nur jeden Standort seiner 100.000 Bücher, sondern könnte auch zumindest für die Dauer einer Zigarettenlänge zu jedem seiner Schätze etwas erzählen. Ich mache die Probe und ja: es stimmt – nach einer halben Stunde liegen die von Rolf Dieter Brinkmann herausgegebene „Acid“-Anthologie in der Originalausgabe, Willi Heinrichs „Mittlere Reife“ sowie ein schönes Exemplar von Leo Koflers „Zur Geschichte der bürgerlichen Gesellschaft“ auf der Ladentheke, und gleichsam bin ich vom Ubu-Mann gut über die Bücher unterrichtet worden. Es soll sogar vorkommen, dass sich Professoren bei ihm Anregungen für ihre Literaturlisten holen. Und warum auch nicht? Schließlich hat der Ubu-Mann über sechzig Semester so manches geisteswissenschaftliche Fach an der Ruhr-Universität studiert und somit ein studium generale absolviert, von dem heute seine Kunden profitieren können. 1969 immatrikuliert, hatte er bis zur Einführung der Studiengebühren durchgehalten und dabei vieles erlebt, über das zu plaudern sich lohnt.
Ein Plauderstündchen generale
Klar, vieles war anders, damals auf dem RUB-Campus. In den 70ern waren die Studenten noch bunter und politisch engagierter, erinnert sich der Ubu-Mann. Um die damalige Mensa stand ein Barackendorf, und in einer dieser Baracken war der AStA untergebracht. Zusammen mit der Anarcho-Legende Hajo Mulsow habe er die Liste „Anarcho-Syndikat“ gegründet, mit der bei den Wahlen zum Studierendenparlament ein Listenplatz gewonnen werden konnte, auf dem der Ubu-Mann den Muslow vertreten habe, wenn dieser wieder einmal „in Kur“ gewesen war. Im Fachschaftsrat Kunstgeschichte traf man sich jeden Mittwoch auf Wein und Kuchen und heckte allerlei Unfug aus, so beispielsweise den im März 1979 in der bsz Nummer 192 veröffentlichen Songtext „Butter und Eier werden knapp“. Kunst und Leben sind für den Ubu-Mann eben untrennbar miteinander verbunden. Begeistert erzählt er, wie man in den 70ern Student sein konnte, ohne ständig auf dem Campus abhängen zu müssen. Lieber ging man ins „Spektrum“ und sah eines der frühen Kraftwerk-Konzerte oder beteiligte sich an den diversen Kunst-Happenings. Einmal hatte das Kunstkollektiv des Spektrums sogar die Aula der Berufsschule am Ostring angemietet, um unter Zuhilfenahme von Papier und Druckschwärze vor einem rasenden Publikum ihre Performance „Arschdrucke“ zu zelebrieren. Mittendrin: der Ubu-Mann. In diesen Jahren hatte er sich auch zum ersten Mal in der Politischen Buchhandlung engagiert, die in der alten Mensa einen Büchertisch betrieb. So kam er vom Campus zum Buchhandel.
In den 80er Jahren traf sich die Szene im „Rub-Pub“, gesprochen „Rapp Papp“ hinter der alten Mensa. Die Kneipe wurde – wie damals üblich – von einem Kollektiv betrieben. Der Ubu-Mann erzählt von den Anfängen der NDW-Band „Geier Sturzflug“, die er damals noch unter dem Namen „Schotter Blau Gebündelt“ im Rub-Pub erlebt habe. Dann kam die Fabrik-Besetzung mit dem legendären Ton-Steine-Scherben-Konzert am 18.1.1982, von dem es – laut Ubu-Mann – immer noch einige Bootlegs in den alten Bochumer Kneipen geben soll. Mit der Besetzung des Häusnerviertels erreichte die Phänomenologie der alternativen Kultur im Bochum der 80er Jahre ihren Höhepunkt. Es war eine wilde Zeit. 1986 eröffnete der Ubu-Mann schließlich sein Antiquariat.
Leseempfehlung für die kalten Tage
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Seitdem ist einiges geschehen. Bücher stapeln sich über Bücher. Was einst als Büchertisch begonnen hatte, hat sich zu einem ungeheuerlichen Labyrinth aus Druckwerk ausgewachsen. Von Belletristik über Esoterik vorbei an Kunstgeschichte zu den gebundenen Ausgaben der Weltliteratur ist es ein weiter Weg. Von dort aus befindet sich linkerhand die historische Abteilung, die einen gewaltigen Fundus an kommunistischen Schriften enthält. Rechts geht es, vorbei an einem separaten Raum, der fremdsprachliche Literatur und Reiseführer beherbergt, hinunter in den Keller. Im Keller dann schließlich der Printmedien-Super-Gau – ganze 256 Lebensjahre bedürfte es, dies alles zu lesen.
Längst ist das Ubu-Antiquariat selbst zur Legende geworden, und mitunter begegnet man hier so illustren Gestalten wie Wolfgang Wendland oder dem britischen Trash-Autoren Steward Home. Zu bereden gibt es immer etwas, und wer kommt in diesen kalten Tagen schon ohne ein gutes Buch aus? Für diesen Winter empfiehlt der Ubu-Mann die Romane der im letzten Jahr verstorbenen ungarischen Schriftstellerin Magda Szabó. Was wird er wohl im nächsten Winter empfehlen? Und was im Winter darauf? Wir wissen es nicht. Doch dass er noch einiges auf Lager hat, das dürfte klar geworden sein.
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