An Bushaltestellen, an Fenstern von Großbüros, im Wintergarten, auf Lärmschutzwänden an Autobahnen und bei uns an der Uni: Aufkleber von Greifvögeln sind überall und gehören längst unserem Alltag an. Kaum jemand schenkt ihnen Beachtung – so normal und omnipräsent sind die schwarzen Silhouetten der Vögel, die andere Vögel wiederum schützen sollen. Die Aufkleber stellen meist Baumfalken oder Sperber da, also Greifvogelarten, die sich hauptsächlich von kleinen Vögeln ernähren. Dank der Aufkleber mit ihren Silhouetten fliegen echte Vögel nicht gegen die für sie unsichtbaren, lebensbedrohlichen Glasscheiben – so die Idee. Im Internet bekommt man sie heutzutage für wenige Euro.
Wie wichtig solche Schutzmaßnahmen sind, zeigt eine schockierend hohe Zahl: In Deutschland alleine sterben jedes Jahr rund 100 Millionen Vögel, weil sie gegen eine Fensterscheibe fliegen – weltweit liegt die Anzahl im Milliardenbereich. Denn Glasscheiben erkennen die Tiere nicht als Hindernis an. Kollidieren sie damit, ziehen sie sich meist entweder eine tödliche Gehirnerschütterung zu oder brechen sich das Genick – rund 70 Prozent von ihnen sterben nach der Kollision innerhalb weniger Tage. In der Fachsprache nennt man den Zusammenprall von Vögeln mit Objekten Vogelschlag. Kollisionen mit Glas gehören zu den häufigsten vom Menschen hervorgerufenen Todesursachen für Vögel. Das Problem: In Deutschland gibt es keinerlei gesetzliche Vorschrift, die die vogelsichere Gestaltung von Glasflächen regelt.
Bereits vor 60 Jahren fing man in Mitteleuropa daher an, die Greifvogel-Aufkleber auf Glasscheiben zu kleben und auf diese Weise der Gefahr für die herumfliegenden Vögel ein Ende bereiten. Wer genau sie erfunden hat, ist heute unklar. Man vermutet jedoch, dass sie ihren Ursprung in Deutschland oder der Schweiz haben. Der Gedanke hinter den ersten Vogelaufklebern war ein schöner und behütender: Wenn wir Menschen schon die Natur und das ursprüngliche Umfeld der Vögel mit unseren Bauten verdrängen, müssen wir sie wenigstens vor diesen schützen.
Die Idee ist simpel: Vögel meiden Greifvögel, da wo sie einen sehen, machen sie also einen großen Bogen drum – und laufen so nicht Gefahr, gegen die gefährlichen Glasscheiben zu fliegen. So die Überzeugung lange Zeit, der Siegeszug der Aufkleber war unaufhaltsam. Heute sind sie ein allgegenwärtiger, wenn auch nicht viel beachteter Bestandteil unserer Städte und Bauten.
Jahrzehnte nach der Erfindung hat sich allerdings mittlerweile Ernüchterung breitgemacht. Wie der Naturschutzbund Deutschland (NABU) berichtet, haben sich die Greifvogel-Silhouetten als unwirksam herausgestellt. Denn die Vögel nehmen die Aufkleber in der Realität nicht als Feind wahr. Sie versuchen sie zwar zu umfliegen, aber das ohne großen Abstand aus mangelnder Furcht. Sie haben gelernt, dass Greifvögel in der Regel stillsitzen und für sie somit keine Gefahr darstellen. So kommt es häufig trotz Aufklebern zum Zusammenprall.
Viel wichtiger sind daher nicht die Form und Gestaltung der Aufkleber, sondern wie dicht und kontrastreich sie angebracht sind. Bewährt haben sich statt der Greifvogel-Aufkleber mittlerweile senkrechte Streifen oder Punktmuster. Mindestens 25 Prozent der Glasfront soll damit bedeckt sein. Der NABU hat dafür eine Merkformel ausgearbeitet, damit die Aufkleber möglichst wirksam sind – die sogenannte Handflächenregel. Ihr zufolge sollen die Abstände zwischen den Markierungselementen nie größer sein als eine Handfläche , damit die Vögel nicht in Versuchung kommen, durch vermeintliche Lücken hindurchzufliegen.
Die Greifvogel-Silhouetten, so schön und omnipräsent sie auch sind, haben ausgedient. Wenn wir die Millionen Opfer von Vogelschlag also verringern wollen, braucht es bessere Muster.
: Gastartikel von Leon Hartmann
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