Bild: cc0

Am Montag, dem 14. Juli führte eine Gruppe Studierender aus einem Kurs des Optionalbereichs im Musischen Zentrum eine eindrückliche Inszenierung auf, die sich ernsten Themen widmete: Häusliche Gewalt, Femizide, Frauenhass, Geschlechterrollen und Patriarchat.

Als „Gegenwind“ betitelt, wird dem Name der Inszenierung alle Ehre gemacht: Laut, kollektiv und unbequem werden Tatsachen auf die Bühne gebracht. Während die Zuschauenden zu Beginn den Saal im Musischen Zentrum betreten, schmettert eine Studentin bereits den emanzipatorischen Klassiker „You don’t own me“, und sie singt selbstbewusst, etwas schief, doch vielleicht genau so gewollt – etwas drüber, frech und trotzig. Am Eingang wird an jede dritte Person ein Luftballon verteilt – später stellt sich heraus, dass sie die statistische Häufigkeit von Gewalt an Frauen symbolisieren sollen.

Zunächst stehen zwei Frauen mit Mikros an beiden Enden der Bühne und thematisieren die ständige Angst, in der Frauen leben, indem der Songtext des Liedes „So wie ich“ von Lotte laut und gleichzeitig gesprochen wird. Das Mittel des gleichzeitigen Sprechens zweier Darsteller:innen wird danach wiederholt genutzt; es erzeugt Kraft und Eindruck, und wird begleitet von choreographischen Einlagen auf der Bühne. Es wird über ein Paar gesprochen, das in der Mitte auf zwei Stühlen sitzt und verschiedene Bewegungen mit dem Körper ausführt, die Beziehungsdynamiken wie Streit, Abweisung, Trotz, Übergriffe und Wechselbäder der Gefühle veranschaulichen. Machtausübung und toxische Beziehung – verpackt in Tanz. Diese Zweierchoreographien der Körper im Wechselspiel zueinander sind präzise und faszinierend aufeinander abgestimmt und finden danach auf der ganzen Bühne simultan mit allen Darsteller:innen statt, die jeweils gepaart auf zwei Stühlen sitzen. Zunächst werden in der Performance erst einmal nur Geschlechterungerechtigkeiten und -stereotype thematisiert, indem die Gruppe im Pulk über die Bühne rennt, immer der Person hinterher, die gerade den Hut hat, ihn sich aufsetzt und als Metapher für das Dasein als Mann nutzt: „Wer den Hut hat, darf schlechte Witze machen, verdient mehr, macht weniger im Haushalt“, lauten so einige der Ausrufe, die getätigt werden, sobald jemand Neues den Hut errungen und ihn sich aufgesetzt hat. In englischen Reimen spricht ein Chor in einer anderen Szene durch die Verwendung der geschlechtertypischen Farben blau und pink von den unterschiedlichen Erwartungen, die an Mädchen und Jungs gerichtet werden, dass beispielsweise Jungs nicht weinen sollen, aber dafür bestimmen dürfen.

Besonders ernst und eindrücklich ist dann die Szene, in der jede:r Darsteller:in vom Rand gelaufen kommt und an unterschiedliche Stellen einen roten Schuh auf die Bühne setzt, begleitet von einer Aussage oder einem Fakt über Femizide oder Gewalt an Frauen. So auch, dass Mexiko dass gefährlichste Land für Frauen ist, weil es dort im Schnitt 11 Femizide pro Tag gibt. Es wird auf den Fakt aufmerksam gemacht, dass die gefährlichsten Männer im Leben einer Frau die in ihrem engsten und vertrautesten Umfeld sind, dass sie selbst Zuhause nicht sicher ist, dass ihr Partner die wahrscheinlichste Gefahr ist, und dass wir alle statistisch gesehen in unserem Umfeld einen Täter kennen. Dass wir unvorstellbar lange schweigen müssten, würden wir eine Schweigeminute für jede Gewalt, jeden Übergriff und jeden Mord an Frauen abhalten. Die Darsteller:innen ziehen sich Warnwesten an und singen und performen im Chor die feministische Protestperformance „Un violador en tu camino“ aus Chile, die zuvor auch hinten auf einer Leinwand gezeigt wurde. Vom trampelnden Gleichschritt der Füße begleitet, zeigt die Gruppe unter anderem immer wieder auf das Publikum und schreit ihm entgegen: „Der Vergewaltiger bist du!“

Das Ende konfrontiert abrupt mit einem positiven Ausblick: Artikel 1 der Menschenrechte wird zusammen mit dem Publikum gesungen. Einer der Darsteller steht in der Mitte der Bühne im Scheinwerferlicht und spricht von einer utopischen, besseren Welt, die man sich vorstellen soll: Eine Welt, in der Vergewaltigung oder Gewalt undenkbar wäre. Dann wird glücklich und unbeschwert zu beschwingender Musik getanzt. Wird das ernste Thema weggetanzt? Verdrängt und vergessen? Oder soll ihm etwas Positives entgegengesetzt werden? Einerseits ist das ein Zeichen von Stärke und Protest, andererseits befremdlich und fragwürdig. So oder so bleibt das Thema der Inszenierung wichtig und ernsthaft, und wenn die Wahrheit und Realität bedrückend ist, kann ein Problem im echten Leben auch nicht mit Leichtigkeit enden – die Gewalt und Ungerechtigkeit bleibt. Der positive Ausblick am Ende wirkt plakativ und gewollt; trotzdem überzeugen die kreativen Choreographien und Mittel, die die verheerenden Missstände einleuchtend und mitreißend vermitteln sowie die Fakten, die dem Publikum nicht vorenthalten werden.

:Maja Hoffmann

0 comments

You must be logged in to post a comment.