Staatsnahe, russische Presse wird im Zuge des Angriffes auf die Ukraine mit Einschränkungen und Verboten belegt. Doch auch ein mehr oder weniger inoffizieller Kulturboykott gegen Künstler:innen, Musiker:innen und andere Kunstschaffende ist Teil der Sanktionen.
Nicht allein militärische Einsätze sind Teil der ukrainischen Verteidigungsstrategie im gegen sie geführten russischen Angriffskrieg. Auch Zensur und Verbote russischer Medien – neben Presse auch Filme, Bücher, Musik und vieles mehr – gehören zu den Mitteln. Ein durchaus verständlicher Schritt, wenn man annimmt, dass eine bewusste Verneinung und Untergrabung einer „ukrainischen Identität“ integraler Teil der russischen Strategie sind. Eine Einschätzung, die Beobachter:innen und Fachleute durchaus unterstützen. Es gäbe demnach ein Narrativ, welches die Annexion der Ukraine, als Rückeroberung vermeintlich russischen Gebiets rechtfertigt, welches auch in Kunst und Kultur perpetuiert wird. Doch auch auf deutschen Bühnen haben es russische Künstler*innen derzeit nicht leicht. Das Festival „Odyssee: Musik der Metropolen“ auf der Freilichtbühne Wattenscheid spricht sich beispielsweise gegen diesen vermeintlichen „Kultur-Boykott und für das Weiterführen des Dialogsmit russischen Künstler:innen“ aus – im Kontext der Einladung der russischen Band Iva Nova auf die diesjährige Ausgabe des Umsonst-und-Draußen-Festivals in Bochum. Auch der Intendant der Semperoper, Peter Theiler, sieht es kritisch, wenn man Personen allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit auslädt. Besonders zu denjenigen, die bereits seit langem der Putin-Regierung gegenüber kritisch seien, dürfe der Kontakt nicht abgebrochen werden, da sind sich selbst sonst uneinige Stimmen überraschend einig. Auch unlautere Stimmen äußerten sich jedoch bereits zum vermeintlichen Kulturboykott, und selbst Vergleiche zum Umgang Nazideutschlands mit jüdischen Kunstschaffenden wurden gezogen. Oft traf der Boykott bisher jedoch eben solche, die sich zum Krieg gar nicht positionierten oder eben in der Vergangenheit oder aktuell Nähe zur russischen Regierung und gute Beziehungen zu Putin bewiesen. Dirigent Waleri Gergijew befürwortete zum Beispiel die Annexion der Krim und steht seit langem dem russischen Präsidenten nahe. Sein Schweigen zum Ukrainekrieg reichte somit vielen westlichen Veranstalter*innen dafür, sich von ihm zu trennen. Die Opernsängerin Anna Netrebko unterstütze in der Vergangenheit aktiv die Interessen Putins, äußerte sich jedoch gegen den Krieg. Vielen war ihr Statement offenbar nicht klar genug, und es folgten Absagen ihrer Aufritte in europäischen Opernhäusern. Auch sie selber sagte jedoch Konzerte ab, und nach einer klareren Positionierung gegen den Krieg im März wurde sie in russischen Staatsmedien als Verräterin bezeichnet. Nun spielte sie auch wieder auf europäischen Bühnen, jedoch nicht ganz ohne Proteste.
Der russische Pianist Alexander Melnikov äußerte sich kurz nach Beginn des Krieges bei seinem Auftritt in Bochum klar: Dieser Krieg zwinge ihn dazu, sich dafür zu schämen Russe zu sein. Auch er machte später deutlich: Einen allgemeinen Boykott russischer Künstler*innen, oder Diskriminierung russischer Menschen, wegen des Krieges dürfe es nicht geben. Seine Aufritte wurden bisher nicht in Frage gestellt. Die Band Pussy Riot, deren (nicht nur) Putin-kritische Einstellung bereits seit langem bekannt ist, brauchte sich ebenfalls keine Sorgen um derartige Absagen und Proteste machen. Das Künstlerinnen-Kollektiv bekam eher mehr Aufmerksamkeit, seit Kritik an Russland wieder größere Aufmerksamkeit und breitere Plattform bekommt. Die Gruppe IC3PEAK, die sich auch musikalisch eher im Untergrund bewegt, sagte alle Konzerte in Russland ab, touren aber weiter um die Welt. Auch ihre Position zur russischen Regierung ist bereits seit langem klar und kritisch. Anzeichen von einem generellen Boykott alles russischen gibt es in der Kulturbranche also kaum. Ebenso klar ist jedoch, dass von denen, die weiter akzeptiert werden, eine Positionierung gegen der Krieg und gegen Putin erwartet wird. Gegen diejenigen Künstler*innen, die sich so äußern, wird in Russland jedoch seit Kriegsbeginn besonders rigoros vorgegangen. Um auf europäischen Bühnen stehen zu dürfen, muss man demnach durchaus bereit sein in Russland als Dissident*in zu gelten und verstoßen und verfolgt zu werden. Ein Anspruch, der in Fällen anderer Staaten – so kritisch man diese seitens einiger Politiker*innen und Medien, zumindest mit Worten, einordnet – nicht in vergleichbaren Ausmaßen gestellt wird.
:Jan-Krischan Spohr
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