Hintergründe und Auswirkungen verschiedener Bindungsstile, Trauma und Strategien und Tipps trotz allem sichere und gesunde Beziehungen zu führen, das will „polysecure“ von Jessica Fern bieten.
Swinging, offene Beziehungen, Nicht-Monogamie, Polyamorie… In der Dating-Welt ist die Monogamie schon, seit einiger Zeit nicht mehr der Monolith, der sie einmal war. Die meisten Formen nicht-monogamer Beziehungen sind nichts Neues, doch in westlichen Ländern erst seit deutlich kürzerer Zeit so salonfähig, dass sie nicht nur im Geheimen stattfinden, sondern offen ausgelebt und thematisiert werden. Auch außerhalb des Westens sind diese Beziehungen oft patriarchal geprägt, und umfassen meist einen Mann, der mehrere Ehefrauen oder Partnerinnen hat. Doch wie die Autorin Şeyda Kurt in ihrem autobiographisch verankerten Buch von letztem Jahr, „Radikale Zärtlichkeit“, bereits klarmachte: Liebe ist politisch, und traditionelle Konzepte von Liebe und Beziehungen zu hinterfragen und aufzulösen kann ein wichtiger Akt sein. Auch das Konzept von Monogamie und ihre Hintergründe stellt sie darin infrage. Nun kann man jedoch auf dieser Ebene überzeugt sein, dass nicht-monogame Beziehungen für einen das richtige sind, oder man es zumindest mal ausprobieren will. Doch wie geht das überhaupt? Was macht man, wenn man eifersüchtig ist? Sich verletzt fühlt? Bei Verlustängsten und Sorgen aller Art? Und genau da kommt „polysecure“ ins Spiel.
Der Untertitel „Attachment, Trauma and Consensual Nonmonogamy“, fasst den Inhalt gut zusammen. Denn in ihrem Ratgeber, erschienen im Jahr 2020, geht die Psychotherapeutin Jessica Fern den Grundlagen von Beziehungen, und den Problemen, die in ihnen auftauchen (können) auf den Grund – und das alles mit einem besonderen, aber nicht ausschließlichen, Auge auf verschiedene Arten der Nicht-Monogamie. Dabei eignet sich das Buch für alle, die an dem Thema interessiert sind. Sowohl sehr grundlegende Informationen zu Nicht-Monogamie, und allen Formen, die sie annehmen kann, wie auch die Basics der Bindungstheorie werden erklärt, aber auch die in die Tiefen der Materie werden erforscht. Bindungstheorie ist dabei das Fundament, auf dem dieser Ratgeber funktioniert. Manchen ist diese Forschungsrichtung, die sich mit dem Aufbau und den Veränderungen enger Beziehungen zu Menschen über das ganze Leben beschäftigt, bereits ein Begriff. Besonders Online-Tests dazu, welchen „attachment style“ man hat, sieht man immer öfter. Doch Fern geht an die Erkenntnisse dieser Forschung deutlich wissenschaftlicher heran, und verbindet sie in ihrem Buch mit verschiedenen Verhaltensweisen und emotionalen Reaktionen in romantischen Beziehungen. So können Menschen, die in der Kindheit verschiedene Formen emotionaler Vernachlässigung oder unterschiedlichste Traumata erfahren haben, im späteren Leben einen unsicheren Bindungsstil entwickeln. Diese Bindungsstile können ganz unterschiedliche konkrete Gründe, sowie Auswirkungen haben. Schritt für Schritt geht Fern diese Aspekte durch. Durch diesen systematischen Vorgang, sowie unterstützende Tabellen und Listen, eignet sich „polysecure“, sowohl als Einführungswerk, als auch zum Nachschlagen. Ebenso schrittweise erklärt sie im darauffolgenden Teil die Formen, die Nicht-Monogamie annehmen kann: Ob man nun in einer Primärbeziehung lebt, während man andere Beziehungen zu anderen Menschen führt, es jedoch klare Strukturen und Hierarchien gibt (hierarchische Nicht-Monogamie) oder jegliche Hierarchien und Strukturen konsequent ablehnt (Beziehungsanarchie), auf alles wird eingegangen. Informativ, wichtig und hilfreich bei Selbstreflexion und der Frage, welche Beziehungsform für einen die richtige ist, ist all dies allemal. Doch der wichtigste Teil des Buches kommt zum Schluss: Wenn man nun, aus welchem Grund auch immer, einen unsicheren Bindungsstil hat, was kann man tun? Wie kann man enge, funktionale Beziehungen führen, monogam oder nicht, ein:e gute:r Partner:in sein und langfristig daran arbeiten, sich in diesen Konstellationen sicher und wohl zu fühlen? Strategien und Tipps für all dies bietet „polysecure. Dabei bleibt Fern stets empathisch, verurteilt nicht und arbeitet konkrete Handlungsweisen heraus. Ob man also monogam lebt oder nicht, sich gerade in einer Krise befindet, die man lösen will, Single oder glücklich in einer Beziehung ist: „polysecure“ lädt dazu ein zu reflektieren und mit Verständnis an andere Menschen heranzutreten. Eine absolute Leseempfehlung für alle.
Jessica Fern, polysecure: Attachment, Trauma and Consensual Nonmonogamy. Portland : thorntree Press (2020).
In englischer Sprache.
:Jan-Krischan Spohr
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