Rechtswidriges oder unangemessenes Verhalten, das durch vorsätzliche Absichten oder Gleichgültigkeit entsteht, ist ein Fehlverhalten, welches nicht toleriert werden sollte. Sollte ist hierbei das Stichwort. In der Medienlandschaft kam es in letzter Zeit öfter zu kleineren bis größeren Skandalen – wir klären Euch auf: über die Schattenseiten der Gamingindustrie und die Folgen des BILD-Skandals um den vormaligen Chef Julian Reichelt.
Die Wogen glätten
Der ehemalige Chef der BILD Julian Reichelt wurde in der Vergangenheit für seine sexuellen Beziehungen zu ihm unterstellten Mitarbeiterinnen gefeuert.
Julian Reichelt wurde vorgeworfen, seine Autoritätsposition als Chefredakteur der BILD-Zeitung ausgenutzt zu haben, um Frauen zu missbrauchen, sowie berufliche und private Beziehungen mit Mitarbeiterinnen und resultierende Abhängigkeitsverhältnisse ausgenutzt zu haben. Im März 2021 wurde ein internes Compliance-Verfahren gegen Reichelt eingeleitet, das die Vorwürfe untersuchte. Reichelt blieb jedoch trotz der Aufruhr um seine Person auf seinem Posten bei der BILD. Nachdem sowohl der SPIEGEL als auch ein Investigativteam des Ippen-Verlags weitere Vorwürfe einbrachten, verlor Reichelt seinen Posten. Der Axel-Springer-Verlag, der Mutterverlag der BILD, traf im November die Entscheidung, von nun an strengere Regeln für Beschäftigte gelten zu lassen, um Amtsmissbrauch in Zukunft entgegen zu wirken: Springer-Mitarbeiter:innen seien von nun an dazu verpflichtet, Verbindungen zu Manager:innen offen zu legen. Beziehungen würden nicht verboten werden. Der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner positionierte sich im Hinblick auf die Etablierung der Axel-Springer-Verlagsgruppen in Amerika, wo strenge Regeln bezüglich firmeninterner Beziehungen bestehen: „Wir werden globale Vorgaben einführen, die auf angelsächsischen Regeln basieren.“ Außerdem positionierte sich Döpfner klar hinsichtlich möglicher Negativreaktionen der Mitarbeiter:innen von Springer auf die Offenlegung von internen Beziehungen: „Es gibt einen Verhaltenskodex, den wir von unseren Angestellten erwarten. Wer sich nicht entsprechend verhält, muss die Firma verlassen.“
Der Axel-Springer-Verlag präsentiert sich somit nach dem Skandal um das Fehlverhalten Julian Reichelts lernfähig und gewillt, öffentliche Denunziation zu vermeiden. Trotzdem zeigt dieses Beispiel, wie anfällig Macht- und Autoritätsstrukturen auch heute noch für bewusstes oder unbewusstes Fehlverhalten sind, und wie leicht es sein könnte – und in einigen Firmen sicherlich immer noch ist – über selbiges hinwegzusehen, solange es nicht an die Öffentlichkeit dringt.
:Rebecca Voeste
Schlafen im Büro für Profit der Chefs
Wenn aus der Ausnahme die Regel wird: In der Unterhaltungsindustrie sind unhaltbare Arbeitszeiten und schlechte Bezahlung nicht nur üblich, sondern normalisiert.
Toxische Arbeitskultur zieht sich durch fast alle Branchen der Unterhaltungsindustrie. Überarbeitung, obligatorische Überstunden, Schlafen im Büro, 65- bis 100-Stunden Wochen und das alles in großen Teilen unreguliert und für die Arbeitnehmer:innen alternativlos ist in der Videospielindustrie so verbreitet, dass sich mit crunch (abgeleitet von crunch time, ein Begriff aus dem Sportlingo, vor allem Basketball). Speziell ist damit gemeint, dass die Angestellten in Games-Studios, wenn das Release-Datum näher rückt, besonders hart und lang arbeiten müssen, um ebenjene Deadline auch einhalten zu können. Solche Praktiken sind nicht nur normalisiert – 2019 berichteten 40 Prozent der Spieleentwickler:innen von crunch, nur 8 Prozent von entsprechender Entlohnung – sondern werden oft auch zelebriert. Bezogen auf die Entwicklung von Read Dead Redemption 2 sprach Rockstar Games Co-Gründer Dan Houser von bis zu 100 Stunden langen Arbeitswochen, auf eine fast stolze Art. Überarbeitung und Stress, ohne Rücksicht auf gesundheitliche Konsequenzen, werden dabei hochstilisiert zu Zeichen besonderen Einsatzes für ein kreatives Projekt, statt als die Symptome schlechten Managements erkannt zu werden, die sie sind.
Auch in der Film- und Musikindustrie sind ähnliche Vorgänge nicht unbekannt. Erst letztes Jahr kamen Geschichten zu Tage, wie sehr die Toningenieure bei Aufnahmen populärer Alben unter der Arbeitskultur leiden. Bei der Produktion von Kanye Wests Donda soll es sogar dazu gekommen sein, dass eine Person nach einer durchgearbeiteten Nacht ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Das Narrativ, welches auch Künstler:innen wie Sevdaliza konstruierten, war dabei, dass gute Kunst nun mal „harte Arbeit“ verlangt. Dass diese Arbeit jedoch von sowieso unterbezahlten, nicht gewerkschaftlich organisierten Angestellten verrichtet wird, statt den Künstler:innen selbst, scheint dabei unter den Tisch zu fallen. Die International Alliance of Theatrical Stage Employees (IATSE) prangerte im vergangenen Jahr die Konditionen in der Filmindustrie an. Schlechte Bezahlung und lange Arbeitstage, an denen es auch Druck gegeben haben soll, Pausen und Mahlzeiten zu überspringen, seien üblich, und nicht weiter aufrechtzuerhalten. Die schlussendlich verhandelten Verbesserungen waren vielen noch nicht genug, zeigen jedoch klar, dass nur gesellschaftliche Organisation ein adäquates Mittel gegen ausbeuterische Praktiken am Arbeitsplatz sind.
:Jan-Krischan Spohr
Kalifornien im Strafverfahren gegen Activision Blizzard
TW: Suizid. Im Juli 2021 kamen erste Missbrauchsvorwürfe gegenüber den Higher-Ups bei Blizzard auf. Der laufende Gerichtsprozess machte üble Machenschaften in der Videospiel-Szene deutlich.
Seit mehr als zwei Jahren hat der kalifornische Staat Untersuchungen auf unfaire Arbeitsbedingungen und Missbrauch gegenüber weiblichen Mitarbeiterinnen bei Activision Blizzard durchgeführt. Nun wurde im Juli 2021, ausgelöst durch den Suizid einer Mitarbeiterin während eines Betriebsausflugs, ein Strafverfahren eingeleitet. Es soll zu sexuellem Missbrauch am Arbeitsplatz, bei dem unter anderem Nacktfotos unter den männlichen Vorgesetzten herumgeschickt wurden, gekommen sein. Diese schweren Missbrauchsvorwürfe sollen letztendlich zum tragischen Tod geführt haben sollen. Auch weitere Mitarbeiterinnen treten mit ähnlichen Vorwürfen hervor und zeigen deutlich, dass es in dieser Hinsicht ein gravierendes Problem im Umgang mit Mitarbeiter:innen gibt. Immer wieder sollen auch diverse Mitarbeiter:innen diskriminiert worden sein. Das Gericht wirft vor, dass sich eine feindliche “frat boy” Kultur gebildet habe, in der nicht männlich gelesene Angestellte unter unfairen Arbeitsbedingungen und Missbräuchen leiden. Cat-calling, sexuelle Anspielungen und Witze über Vergewaltigungen sollen dabei immer wieder aufgetreten sein. Im Rahmen der Untersuchungen tauchten zudem Bilder auf, in denen Blizzard Mitarbeiter perfide mit einem Porträt von Bill Cosby posieren. Das kalifornische Gericht fordert nun auf, mit dem staatlichen Arbeitnehmerschutz zu kooperieren, unbezahlte Löhne auszuzahlen und Wiedergutmachungsgelder auszuzahlen. In einem langen Statement versprach Robert Kotick (CEO Activision Blizzard) die mannigfaltigen Probleme genauestens zu untersuchen und Lösungen durchzusetzen. Über 40 Mitarbeiter wurden bislang entlassen. Mit dem jüngsten Erwerb durch Microsoft ist Kotick nun aber nicht länger in der Führungsposition und die Probleme bleiben zunächst bestehen. Die große Hoffnung ist nun allerdings, dass unter Microsofts Leitung sichere Arbeitsplätze für alle entstehen können und Betroffene einen gerechten Ausgang des Gerichtsverfahrens in Ausblick haben.
:Artur Airich
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