Reportage. Die zweite Welle ist da. Trotz allem müssen wir über das reden, was nach Überstehen dieser Zeit längst überfällig ist. Wie lernen wir, verantwortungsbewusst zu feiern?
Bereits im Juli berichteten wir in einer Reportage über die Situation nächtlicher Partygänger:innen (:bsz 1256). Was in der letzten Reportage noch vielleicht als eine mit Zähneknirschen akzeptable Entscheidung galt; nachts, entgegen der vielen Beschränkungen für Bars und Clubs, auf illegale Raves zu gehen, wirkt heute für mich weniger akzeptabel. Die Situation momentan ist anders, die zu erwartende zweite Welle breitet sich langsam aus. Trotzdem wird noch gefeiert und es scheint das passiert zu sein, worüber ich mir Sorgen machte. Anstatt ein annähernd kontrollierbares Umfeld für Partys zu schaffen, hat man die Wünsche von Clubs und Bars ignoriert. Die Szene für illegale Raves floriert und das Angebot steigt gefühlt von Wochenende zu Wochenende. Es geht sogar so weit, dass in manchen Wäldern Berlins ganze Lichtungen zu Clubs umfunktioniert wurden, inklusive extrem guter Anlage und einer kleinen Bar mit Bier und Wasser. Trotz allem hat die letzte Woche auch gezeigt, wie man vielleicht einer florierenden illegalen Szene ein wenig den Hahn zudrehen hätte können – hierbei möchte ich nochmal betonen, dass ich nicht gegen die Auflösung einer illegalen Partyszene bin, jedoch kann ich realistisch einschätzen, dass in Zeiten, wo Abstand und gewisse Hygienestandards Pflicht sind, um andere zu schützen, diese nicht auf illegalen Partys eingehalten werden können. Verschiedene Clubs in Berlin konnten tagsüber kleinere Raves in ihren Außenbereichen veranstalten. Tatsächlich haben diese Veranstaltungen verhältnismäßig gut funktioniert. Türsteher hatten ein Auge darauf, dass der Club nicht zu voll wird und ein gewisser Abstand zur Person neben einem selbst war möglich. Wieso also nicht früher?
Mittlerweile kriege ich fast jedes Wochenende eine Einladung auf einen illegalen Rave. Auch wurde ich schon auf illegale Festivals über mehrere Tage eingeladen. Immer wieder sehe ich, dass Röhrchen zum Ziehen unter Fremden geteilt werden, was bereits ohne Corona riskant ist. Immer wieder sehe ich Menschen, die andere umarmen und irgendwo in Gruppen kuscheln, während sie ihren Rausch auf Lichtungen ausschlafen. Mal eine Kippe hier schnorren, mal ein Schluck Wasser von der Person nebenan nehmen, weil man das eigene vergessen hat. Alles Handlungen, die wenig dazu beitragen, eine Pandemie aufzuhalten. Alles Dinge, die man im Umfeld eines Clubs besser regulieren könnte. Was anscheinend ignoriert wird, ist die Ignoranz des eigenen Rausches. Ich bin davon nicht ausgeschlossen. Meine Fehltritte sind die Gleichen, wie die der Anderen, weswegen ich aber auch immer mehr der Überzeugung bin, dass die Schließung von Clubs keine wirksame Maßnahme ist, um die Pandemie auf Dauer einzudämmen. Fest steht, dass meine Erfahrungen der letzten Wochen limitiert waren. Jedoch wirkt die illegale Szene nicht so, dass sie verantwortungsvoll mit gewissen Themen umgeht, aus dem Grund, dass sie es nicht muss.
Es ist circa sieben Uhr morgens und ich laufe mit meinen Freunden zu ihrer Wohnung. Wir haben uns an diesem Abend mehrmals verloren und wiedergefunden. Dazwischen immer wieder auch mit anderen Leuten geredet und uns sicherlich nicht an alle Regeln gehalten, die man vielleicht im Alltag doch besser einhält. Wir sind diejenigen, die mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit diese Krankheit überstehen werden, falls wir uns anstecken. Für die Leute, die wir anstecken, gibt es diese Garantie vielleicht nicht. Die Frage, ob es einen Weg gibt verantwortungsvoll zu feiern, bleibt offen. In Hinblick auf die zweite Infektionswelle sind illegale Raves aber auf jeden Fall verantwortungslos, weswegen ich mir auch selbst Vorwürfe mache und nur hoffen kann, dass ein Umdenken von meiner Seite, wie auch von Seitender Szene passiert.
:Gerit Höller
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