Forschung. Die Arbeitsgruppe für Beobachtende Kosmologie der RUB arbeitet daran, die Masse im Universum zu bestimmen. Doch neue Ergebnisse stellen das Standardmodell der Kosmologie in Frage.
Die Arbeitsgruppe, unter der Leitung Prof. Dr. Hendrik Hildebrandts, interessiert sich neben der gesamten Anzahl der Masse im Universum auch für die Struktur, ob die Masse gleichmäßig im Kosmos verteilt oder in Klumpen angeordnet ist. Um Massereiche Objekte im Universum zu wiegen, benutzen Forscher*innen den Gravitationslinseneffekt. Die Lichtstrahlen, die eine Galaxie aussendet, werden auf ihrem Weg zur Erde durch die Schwerkraft großer Objekte abgelenkt. Durch die Ablenkung des Lichts erscheinen Galaxien von der Erde aus betrachtet an einem anderen Ort. Wenn man diese Ablenkung messen könnte, würde man auf das Gewicht von Objekten im Weg der Lichtstrahlen zurückschließen können.
Doch dies ist nicht so einfach. „Wir sehen die Galaxie nur an ihrem verschobenen Ort, aber wir wissen nicht, wo sie sich eigentlich befindet“, erklärt Hendrik Hildebrandt. Ein weiteres Problem findet sich darin, dass der Himmel nur zweidimensional betrachtet werden kann. Dadurch fällt es schwer, die Abstände zwischen Galaxien, der ablenkenden Masse und dem*der Betrachter*in zu ermitteln. Um diese Probleme zu lösen, haben Forscher*innen ein Verfahren entwickelt. Da die massereichen Objekte das Licht nicht wie perfekte Linsen ablenken, entstehen sichtbare Verzerrungen. Mithilfe dieser Verzerrungen können Kosmolog*innen nun die Abweichung von der ursprünglichen Form der Galaxie berechnen. Für einzelne Fälle ist dies fast unmöglich. Sie mitteln daher über eine große Anzahl von Galaxien und berechnen deren durchschnittliche Verzerrung. Sie bestimmen dann für große Himmelsausschnitte die Verzerrungen von Millionen Galaxien. Mithilfe dieser Verzerrung wird dann die Ablenkung des Lichts und somit die Masse der ablenkenden Objekte rekonstruiert.
Neben dem Gravitationslinseneffekt gibt es noch eine zweite Messmethode. Diese basiert auf dem kosmischen Mikrowellenhintergrund, bei dem es sich um Strahlung im Mikrowellenbereich handelt, die kurz nach dem Urknall ausgesandt wurde. Diese Methode wird beispielsweise vom Planck-Konsortium genutzt. Die Ergebnisse der beiden Methoden passen jedoch nicht zusammen. „Dafür kann es mehrere Gründe geben“, erklärt Hildebrandt. „Entweder wir oder eines der anderen Forschungskonsortien hat einen systematischen Fehler bei der Datenauswertung gemacht – oder es stimmt etwas nicht mit dem Standardmodell der Kosmologie.“ Dieses Modell, das auf Einsteins Allgemeiner Relativitätstheorie beruht, beschreibt die Entstehung und Entwicklung des Weltalls. „Wir haben auch alternative Modelle zur Interpretation genutzt und tatsächlich eines gefunden, das unsere Daten und die der Mikrowellenhintergrund-Messungen in Einklang bringt“, sagt der Physiker. In diesem alternativen Modell wird Einsteins kosmologische Konstante, die die Gravitationskraft beschreibt, durch die Dunkle Energie ersetzt, die für die beschleunigte Expansion des Universums verantwortlich ist. Die Dunkle Energie verändert sich im Laufe der Zeit. Das könnte die Erklärung für die Diskrepanz zwischen den Datensätzen sein. Der kosmische Mikrowellenhintergrund stammt aus dem jungen Universum, der Gravitationslinseneffekt vermisst hingegen ein viel älteres Universum. Noch sei es aber zu früh, um das Standardmodell der Kosmologie zu verwerfen, sagt Hildebrandt. Deshalb werten er und sein Team nun einen noch umfangreicheren Datensatz aus. „Es wird sich zeigen, ob unsere Daten nach dieser Analyse noch weniger mit den Daten des Planck-Konsortiums zusammenpassen oder sich doch damit vereinen lassen“, sagt er.
:Philipp Kubu
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