Obdachlosigkeit. Das steigende Ausmaß von Obdachlosigkeit bringt Hilfsstellen vielerorts an ihre Grenzen. Bereits seit vielen Jahren fordern Verbände genaue Zählungen, nun schreiten Bund und Länder zur Tat.
Wie viele Menschen von Obdachlosigkeit betroffen sind, ist nicht einfach zu beziffern. Ein Grund dafür liegt in dem Unterschied zwischen Obdachlosigkeit und Wohnungslosigkeit. Wer obdachlos ist, lebt auf der Straße und nimmt für die Übernachtung häufig Angebote von Kommunen und freien Wohlfahrtsverbänden, wie der Caritas oder der Diakonie Ruhr in Anspruch. Über das Aufkommen bei diesen Einrichtungen können ungefähre Zahlen erfasst werden. Doch bundesweite Erhebungen gibt es bisher nicht. Basierend auf einer Erhebung des Landes Nordrhein-Westfalen aus dem Jahr 2017 schätzt die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAGW) die Zahl der Obdachlosen bundesweit auf 48.000. Weitaus größer ist jedoch die Zahl der Wohnungslosen mit rund 600.000 Betroffenen. Das sind Personen, die beispielsweise in Kellern, auf Dachböden und per Couchsurfing bei Freund*innen oder Familienmitgliedern unterkommen. Diese sind jedoch deutlich schwieriger zu erfassen, da sie häufig „versteckt“ sind. Als Ursache für Obdachlosigkeit gelten häufig steigende Mietpreise, insbesondere in Großstädten. Daher fordern Expert*innen den Bau neuer Wohnungen, insbesondere im Bereich des Sozialwohnungsbaus. „Benötigt werden pro Jahr 80.000 bis 100.000 neue Sozialwohnungen und weitere 100.000 bezahlbare Wohnungen“ so der BAGW.
Um das Problem der Obdachlosigkeit besser beziffern zu können und Aufschlüsse darüber zu erlangen, welche Personengruppen von Obdachlosigkeit betroffen sind, plant die Regierung ab 2022 eine Obdachlosenzählung, die im Januar beschlossen wurde. Allerdings: Bei dieser Zählung werden nur die Obdachlosen in Unterkünften gezählt. Diejenigen, die auf der Straße leben oder Wohnungslose, die andere Unterkünfte haben, fallen dabei raus.
Einen ersten Ansatz lieferte ebenfalls im Januar die Stadt Berlin. Dort sind 2.601 Freiwillige in der „Nacht der Solidarität“ ausgezogen, um die Zahl der Obdachlosen zu erfassen. 1.967 Obdachlose wurden dabei gezählt – Schätzungen gingen zuvor von 6.000 aus. Die Differenz ist unter anderem aus der Erhebungsmethode zu erklären. Die Freiwilligen waren beispielsweise angewiesen, nur an öffentlich zugängliche Orte und solche, die von der Senatsverwaltung als nicht gefährlich eingestuft wurden, zu gehen. Dabei wurden einige Gebiete, wie der innere Bereich des Tierparks, der für sein hohes Aufkommen von Obdachlosen bekannt ist, nicht aufgesucht. Einige Obdachlose hätten sich zudem versteckt, um einer Zählung zu entgehen. Die Initiator*innen der Zählung verteidigen deren Aussagekraft: „Wir konnten mit der Zählung nur die sichtbar im öffentlich zugänglichen Raum lebenden Menschen an einem Stichtag erfassen. Subjektive Einschätzungen, wie viele Menschen sich womöglich versteckt haben, um nicht gezählt zu werden, sind sozialwissenschaftlich nicht haltbar.“ so die Armutsforscherin und Mitinitiatorin Susanne Gerull, Professorin für Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin. Erkenntnisse hat die Zählung zudem über die Hintergründe der Obdachlosen geliefert. Damit könne man Hilfsprogramme zukünftig besser ausrichten.
In Bochum stieg die Zahl der Obdachlosen in den vergangenen Jahren deutlich an. Während sich 2016 noch 75 Personen in Bochumer Einrichtungen befanden, waren es 2018 273 Personen. Auch die Bleibedauer ist gestiegen. „Aber die durchschnittliche Unterbringungsdauer beträgt mittlerweile mehr als sechs Monate, genauer gesagt 186 Tage“, erklärte Friederike Hüther vom Sozialamt den Mitgliedern des Ausschusses für Arbeit, Gesundheit und Soziales.
:Stefan Moll
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