Kommentar. „Joker“: Ein Lebensbild eines verzweifelten Menschen und die Angst vor Nachahmer*innen.
Gotham City in den 80er Jahren. Die Stimmung ist rau und die Schere zwischen Arm und Reich wird immer größer. Es finden Proteste gegen die Elite statt und das Verhalten der Menschen untereinander wird immer kälter und verachtender. Eine Wut macht sich unter den Bürger*innen breit, die nicht mehr drosselbar scheint. Arthur Fleck (Joker) ist eine der gute Seelen, die diesem rauen Gemüt der Stadt zum Opfer fallen wird. Ein junger Mann, der bei seiner Mutter lebt und den Leuten als Comedian eigentlich nur ein Lächeln ins Gesicht zaubern möchte. Doch in Zeiten von Hass und Angst wird der psychisch labile Partyclown mehr als belächelt und schikaniert. All dies geschieht so lang bis in ihm das Monster geweckt und aus tiefster Verzweiflung Hass wird. Die Entwicklung zum Joker zeigt den klassischen Weg einer Radikalisierung bis zum Punkt an dem ihm alles egal ist.
Was klingt wie eine düstere cineastische Geschichte, zieht für viele Zuschauer*innen Parallelen in die reale Welt. In Amerika und auch in den deutschen sozialen Medien wird der Psychothriller mehr als kontrovers gesehen. Auch wenn der Film für seinen Nischeninhalt, der aufgrund der Thematik und Hauptrolle (Joaquin Phoenix) des „Jokers“ in die großen Kinos kommt und durch die schauspielerischen Leistungen des Hauptdarstellers gefeiert wird, werden die skeptischen Töne bezüglich der Radikalisierung immer lauter.
In Filmkritiken ist oftmals zu lesen, dass der Film die Geschehnisse zu brutal und heroisierend darstelle. Das motiviere Menschen in Zeiten von Halle oder aggressiven Trump-Rallys den Joker nachzuahmen. Zudem sei es auch mehr als unpassend, dass der Film am Tag des Mental-Health-Day in den Kinos erschienen ist. Um Todd Phillips zu den Vorwürfen zu zitieren: “Der Film äußert sich zu einem Leben mit Mangel an Liebe, kindlichen Traumata und fehlendem Mitgefühl in der Welt. Ich denke, dass die Leute diese Message vertragen können.“
Recht hat er! Dieser Film ist nicht gefährlich. Er ist traurig, erschreckend und wahr zugleich. Er hält uns den Spiegel der Gesellschaft vor und regt zum Nachdenken an. Es ist egal, in welchem Land wir uns heutzutage befinden. Es scheint so, als würde eine gewisse Grundwut auf der Welt herrschen. In England wurde Pro-Brexit gewählt, in Frankreich starten wieder „Gelbwesten“-Proteste, in Haiti steht ein Bürgerkrieg kurz bevor und wenn wir nach Deutschland schauen ist das Attentat von Stephan B. in Halle zeitlich nicht weit entfernt. Grundsätzlich können wir behaupten, dass wir in einer „friedlichen“ Zeit leben. Dennoch werden wir extremer im Sein. Und es werden immer Schuldige ausgemacht, nie wird von der Politik wirklich hinterfragt: Wo kommen diese Ängste her? Was führt dazu, sich zu radikalisieren? Und wie verhalten wir uns? Nein. Chancengleichheit und sozialer Aufstieg sind so 1990. Und Bildung? Die wird seit Jahren vernachlässigt.
Schon im Ursprung des Wortes radikal („Radix“=Wurzel) wird klar, dass Radikalisierung nicht von heute auf morgen passiert. Und genau das zeigt der Film perfekt und mit Liebe zum Detail. Es sind die kleinen Puzzleteile, die das ganze Ausmaß schaffen.
Filme, Spiele und andere „böse Medien“ schaffen nicht „Radikale“. Es sind die Missstände, die das Individuum erlebt und wahrnimmt. Der Ursprung des Hasses sitzt viel tiefer und anstatt zu Kritisieren, sollte man beipflichten diesen Film zu sehen, denn er zeigt uns den wahren Spiegel der Gesellschaft vor.
:Abena Appiah
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