Kommentar. Der Mindestlohn ist zum Jahresbeginn gestiegen. 9,16 Euro pro Stunde müssen Arbeiter*innen jetzt verdienen.
Die an der Regierung beteiligte SPD sieht sich als große Gewinnerin und Wohltäterin gegenüber den Arbeiter*innen. Und für wahr ist die Erhöhung des Mindestlohns eine Errungenschaft des sozialdemokratischen Teils des 24. Regierungskabinetts. Doch steht diese Erhöhung auch unter dem Stern der modernen Sozialdemokratie, in der zwar nur essen soll, wer auch arbeitet, aber diese Arbeit nur zum Überleben ausreicht. Doch dieser Kurs ist bei der SPD keineswegs neu, bereits 2012 forderten sie einen Mindestlohn, der sogar bei einer Vollzeitbeschäftigung nur das Existenzminimum gewährleisten würde. Damals 8,50 Euro pro Stunde. Heute, sieben Jahre später, ist nicht einmal mehr das gegeben. Dabei hatte beispielsweise Die Linke bereits 2007 10 Euro pro Stunde, NGOs sogar 12 Euro gefordert. Was die jetzige Erhöhung für Arbeiter*innen bedeutet, lässt sich schnell errechnen: 38,5 Stunden/Woche, das heißt 166 Stunden/Monat. Entspricht 1528,20 Euro Monatsgehalt. Natürlich brutto. Netto bleiben davon in Steuerklasse 1 etwas mehr als 1100 Euro. Bei einem durchschnittlichen Mietpreis von 650 Euro bleiben also im besten Falle etwa 450 Euro pro Monat. Bei Vollbeschäftigung. Nicht sehr sozialdemokratisch.
Notwendigkeit
Dass die CDU einen hohen Mindestlohn ablehnt, ist selbstverständlich, handelt es sich bei der Union doch um eine Partei für Besserverdienende. Doch bei der ehemaligen Arbeiter*innenpartei SPD ist die Sachlage eine andere: eigentlich sollte man denken, das Wohl der Arbeiter*innen stehe für die Genoss*innen an erster Stelle. Doch die Partei hat allem Anschein nach Angst, selbst in die Bedeutungslosigkeit abzudriften. Es ist die alte Angst der sozialen Akteur*innen im Staat. Die Angst, durch verminderte Armut und mehr soziale Gerechtigkeit überflüssig zu werden. Ähnliche Bedenken gibt es bei manchen Gewerkschaften, doch diese haben erkannt, dass es in ihrer unentbehrlichen Arbeit nicht nur um Mindestlöhne geht; diese Erkenntnis fehlt der SPD. Und so schreitet die Kasteiung der Arbeiter*innenschaft voran, dient sie doch einem höheren Gut: der Notwendigkeit einer – zumindest dem Namen nach – sozialdemokratischen Partei.
:Justinian L. Mantoan
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