Mutig, emotional, kraftvoll und vor allem eins: stimmig – so klingt Miley Cyrus neues Album. Es ist ein Werk, das ihre bisherigen Ären, von Hannah Montana bis Plastic Hearts, in eine neue Form gießt. Statt Provokation setzt Cyrus diesmal auf Klarheit, Pathos und eine überraschende emotionale Reife.
Viele Popstars haben ihre Äras. Diese fuktionieren wie eigene politische Systeme oder geologische Zeitalter. In der Popwelt sieht das Ganze dann so aus: Synthpop, Trennung, Glamrock, Reue. Miley Cyrus ist ein musikalisches Chamäleon. Ihre Karriere ist kein roter Faden, sondern eine sich ständig wandelnde Landkarte. Nun also: das Zeitalter der psychedelischen Prog-Pop-Oper. Wobei sich der psychedelische Anteil mehr an frühem Tarantino als an 13th Floor Elevators orientiert – Sample-lastig, dramatisch, ein bisschen kaputt.
Der Opener „Prelude“ etabliert die dystopische Vision: ein futuristischer Monolog über Züge, luzide Träume und vorbeihuschende Landschaften – Edgar Froese trifft Cyberpunk. Das ganze Album klingt wie der Soundtrack zu einem verlorenen 80er-Film über Apokalypse und Wiedergeburt. Und tatsächlich: Ein Kurzfilm zur Platte, inspiriert von Pink Floyds The Wall, erscheint demnächst. Man hört ihn schon jetzt.
Cyrus’ Stimme steht dabei im Zentrum. Mal verletzlich, mal allmächtig. Ihre Stimmbanderkrankung gibt ihr eine zusätzlich raue Tiefe, die an Janis Joplin erinnert. Besonders eindrücklich im Titelstück „Something Beautiful“: soulig, warm, getragen von Saxofon und schwebenden Harmonien. Bis der Lärm plötzlich einbricht, sich zurücknimmt und eine zerbrechliche Stille hinterlässt. Hier kulminiert das Album – zwischen Sehnsucht, Reue und Schönheit. „I’m like a pearl“, singt Cyrus – und meint es ernst.
Das Thema des Albums? Endlichkeit. Das Ende der Welt. Oder zumindest: das Ende einer Version von uns selbst. „End of the World“ erinnert musikalisch an ABBA auf einem Acid-Trip, klingt sonnig, während der Text den finalen Countdown zählt. Cyrus paraphrasiert die Beatles und Janis Joplin zugleich: „Let’s spend the dollars you’ve been saving on a Mercedes Benz / and throw a party like McCartney with some help from our friends“. Popkultur als Katastrophenbewältigung.
Ein besonderes Highlight für mich ist „Every Girl You’ve Ever Loved“, das mit einem überraschenden Feature von Naomi Campbell kommt. Campbells Sprechpart wirkt fast geisterhaft – ihre Stimme schwebt über düsteren Streichern und schrägen Harmonien und verleiht dem Song eine gewisse Schwere. Es ist kein klassisches Feature, sondern ein spoken-word-artiger Einschub. Wie ein Moment aus einem Hörspiel. Der Track spielt mit Erinnerung, Eifersucht und der Konstruktion von Weiblichkeit – ein postmoderner Fiebertraum in Zeitlupe.
In der zweiten Hälfte verschiebt sich der Fokus auf dunklen Dancepop. „Reborn“ ist das interessanteste Stück: ein treibender Beat, über dem Cyrus quasi ihre eigene Auferstehung performt – komplett mit Mönchsgesang, Basswummern und der radikalsten Zeile des Albums: „Kill my ego, let’s be reborn“. Man fühlt sich eher in einem Ritual als in einem Popsong. Danach „Walk of Fame“ – ein sarkastisches, discolastiges Highlight mit Brittany Howard, irgendwo zwischen Underworld und Pet Shop Boys. Alles glitzert, aber nichts ist sicher. Das Kunstwerk endet mit „Give Me Love“. Akustisch, verletzlich, schlicht. Keine Erlösung, nur der Wunsch nach Nähe. Der Abschied wirkt wie ein letzter Blick zurück – traurig, aber auch schön. Something Beautiful ist kein Konzeptalbum im klassischen Sinne, aber es erzählt eine Geschichte: von Zerstörung, von Rückbesinnung, von dem, was vielleicht bleibt.
Miley Cyrus hat auf diesem Album nicht nur ihre Stimme gefunden, sondern auch einen Sound, der ihren wilden Karriereweg bündelt. Something Beautiful ist kein lauter Neuanfang, sondern ein selbstbewusstes Statement in Moll – düster, verletzlich, brillant.
:bsz Autorin
0 comments