Seit der Erfindung des Kinos gibt es verschiedene Adaptionen von Emily Brontës „Sturmhöhe“, wovon viele ein wichtiges Detail vergessen oder gar ignorieren: Heathcliffs Ethnizität. Während das Schauspielhaus Bochum bekannt ist für seine innovativen Ansätze und modernen Adaptionen, scheint es in seiner neuen Iteration von „Sturmhöhe“ eher den Weg von der kritisierten Emerald Fennell und ihrer 2026 erscheinenden Adaption zu folgen – Thematisieren: ja, Subversion: nein
Nachdem das Schauspielhaus Bochum seine neue Auflage von „Sturmhöhe“ ankündigte, warteten meine Freundinnen und ich gespannt darauf, wer die verschiedenen Charaktere spielen wird. Da wir alle den Roman gelesen hatten, erwarteten wir ein modernes und passendes Casting, das mit Andrea Arnolds Verfilmung aus 2011 einhergeht, in der der zentrale männliche Charakter Heathcliff von einem schwarzen Schauspieler gespielt wird. Heathcliffs Figur ist mitunter eins der umstrittensten in der Literatur, da diese oft fälschlicherweise als weiß dargestellt wird, trotz Brontës Beschreibungen von Heathcliff als Person of Colour: „Aber Mr. Heathcliff bildete einen merkwürdigen Gegensatz zu seiner Umgebung. Er sah aus wie ein dunkelhäutiger Z*******“ (Kapitel 1) und „‚Aber du mußt es als eine Gabe Gottes nehmen, obwohl es so schwarz ist, als käme es vom Teufel.‘ Wir drängten uns um ihn. Über den Kopf von Miss Cathy hinweg sah ich ein schmutziges, schwarzhaariges Kind, […] Ich war entsetzt. Mrs. Earnshaw fuhr auf und fragte, was ihm einfiele, ein solches Z*******wesen ins Haus zu bringen“ (Kapitel 4). Es bleibt unklar, was genau Heathcliffs Ethnizität ausmacht, da die Beschreibungen innerhalb des Kontextes des 19. Jahrhunderts in England gelesen werden müssen. Dies lässt Leser:innen und Literaturforscher:innen nur vermuten, ob Heathcliff entweder als Romani, schwarz, nordafrikanisch oder südostasiatisch gelesen werden soll. Dennoch wird anhand der Zitate klar, dass es sich hierbei nicht um einen weißen Mann handeln kann.
Das Casting des Schauspielhaus Bochum wird Brontës Vision – zu unserer Unmut – nicht getreu: Der niederländische Victor IJdens übernimmt die Rolle des Heathcliff, was für meine Freundinnen und mich unverständlich ist. „Wie soll ein weißer Schauspieler der Komplexität Heathcliffs und seinen Diskriminierungserfahrungen gerecht werden?“ fragen wir uns, als wir das Schauspielhaus betreten. Zu unserer Überraschung startet das Stück mit genau dieser Frage; Lockwood, gespielt von Dominik Dos-Reis, stellt sich und den anderen Charakteren mehrmals die Frage, warum Heathcliff weiß sei. Die Adaption versucht durch Lockwoods Charakter mehrmals ironisch die Frage nach Heathcliffs Ethnizität und der in dem Stück fehlenden Repräsentation aufzuarbeiten, wobei sie selbst keine Antwort darauf findet. Keiner der Charaktere oder gar das Stück selbst geht auf Lockwoods Frage ein, obwohl es durch die experimentelle Art der Adaption interessant gewesen wäre, wie sie diese Frage beantwortet und damit umgeht. Den Höhepunkt erreicht diese Fragerei gegen Ende des Stücks mit einer Diashow, in der verschiedene berühmte Männer of Colour gezeigt werden, unter anderem Barack Obama, Dev Patel, Jungkook von BTS, Tupac und noch viele andere. Diese Diashow wird kommentarlos eingespielt und es bleibt offen, was sie zum Ausdruck bringen soll: Bleiben Männern of Colour Rollen verwehrt, die sogar extra für sie gemacht sind? Ist die Repräsentation von Männern of Colour beschränkt auf eine kleine Anzahl von etablierten Schauspielern? Existiert eine Übersättigung von Männern of Colour in unseren Medien, weswegen sie durch weiße Männer ersetzt werden müssen? Das Stück liefert hierzu keinen Kommentar und verweilt in ihrer leeren Botschaft.
Der letzte Satz des Stücks, welcher von Heathcliff gesagt wird, „you all just hate me because I’m black!“ soll vermutlich ironisch aufdecken, dass die Figur des Heathcliff abseits von einer stereotypisierten Rolle des „bösen schwarzen Mannes“ ein schlechter Mensch sei, da in dieser Adaption Heathcliff von einem weißen Schauspieler gespielt wird und somit besser zur Geltung komme, wie zerstörerisch sein Verhalten gegenüber den anderen ist. Jedoch wird diese Ironie weder dem Roman noch Heathcliffs Figur gerecht: Heathcliff ist, wie die Adaption betont, keine Karikatur des „bösen schwarzen Mannes“, aber sein Status als schlechter Mensch ist ebenfalls mit Vorbehalt zu betrachten, da Heathcliff ein komplexer Charakter ist, der stark von seiner Umwelt geprägt wurde. Seine Rassismuserfahrungen in seiner Kindheit und Jugend sind der zentrale Aspekt Heathcliffs charakterlichen Umwandlung und eine Adaption, die dies ignoriert und auf eine letzte geschmacklose Aussage setzt, wird unfähig bleiben, ein akkurates Bild von Heathcliff zu zeichnen und einen sozio-kulturellen Kommentar abzugeben. Der Trend der Adaptionen von „Sturmhöhe“ sieht auch nicht rosig aus mit der angekündigten Adaption von Emerald Fennell, in der Heathcliff von Jacob Elordi gespielt werden soll. Die Adaption des Schauspielhaus Bochum fällt somit in die Reihe vieler Adaptionen, die es bewusst nicht schaffen, den Kern des Romans und Heathcliffs Figur aufzufassen und dementsprechend scheitern. Das Narrativ wird hier somit eben nicht von dem Geist der Catherine Earnshaw verfolgt, sondern von einem Nachklang der Ignoranz.
:Gastbeitrag von Rabia Bozdemir
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