Bild: cc0, Symbolbild, von BookTok und Klassikern

Die einen lesen gerne, die anderen haben nur zur Wintersonnenwende mal ein Buch in der Hand – wenn es hochkommt. Dank Social Media und vor allem BookTok greifen die Menschen nun wieder öfter zur Lektüre. Manchmal mogelt sich auch ein alter Klassiker dazwischen. Mit gerunzelter Stirn und zusammengekniffenen Augen stehen wir dann da und mustern dieses Ding aus achtzehnhundert schlag mich tot – was jetzt?

Bei meinen Eltern in der Heimat gibt es ein riesiges Bücherregal aus dunklem Holz, das bis zur Decke ragt. Seine Fächer sind vollgestopft mit Literatur aus verschiedenen Jahrhunderten und ihre Seiten zieren unterschiedliche Sprachen. Als Kind stand ich oftmals davor, mit großen, runden Augen und einem staunenden Gesichtsausdruck. Die bunten, teils von der Zeit verschlissenen Bände, beeindruckten mich und lösten eine starke Neugierde aus. Welche Geschichten mögen wohl zwischen diesen alten Seiten auf mich warten? Manchmal hatte ich sogar das Gefühl, wir wären durch ein Band miteinander verbunden. So zog es mich immer wieder zu sich, wenn ich daran vorbeieilte – fast so, als wäre es verzaubert.

Aus Sommer wurde Winter, blühende Blumen verblühten wieder und viel Zeit verging, die einige Katzen-Kalender das Leben kostete. Ich war nun ein Teenager; nervig, zickig und mit schlechtem Buchgeschmack, lol. Der Holzkoloss bei meinen Eltern hatte mittlerweile jedes Fünkchen Charme verloren und wirkte auf mich so eindrucksvoll wie ein Sandkorn in der Wüste. Zwar konnte ich die Bücher nun lesen, doch sie interessierten mich nicht mehr. Sie waren mir zu langweilig. Wen juckt‘s schon, was irgendein Schiller oder Dürrenmatt irgendwann mal von sich gegeben hat? Schließlich leben wir im 21. Jahrhundert, dieses Altpapier hat hier nichts mehr zu suchen – es ist nicht mehr relevant. Und ganz abgesehen davon, ist da ja noch diese ätzende Schreibweise. Statt endlich zum Punkt zu kommen, wird lieber so lange in Rätseln gesprochen, bis man denkt, man sei der deutschen Sprache nicht mehr mächtig. Oder man schläft ein. Man war das schwer, die Augen offen zu halten.
 Im Deutschunterricht habe ich mich dann mit dem Lektüreschlüssel durch Kafkas „Prozess“ geschummelt und zuhause Goethes „Faust“ als Türstopper benutzt.  Und auch wenn ich bis heute kein großartiges Goethe-Fangirl bin, tut es mir ein bisschen leid.
 Vielleicht kommt Euch das alles ja ein bisschen vertraut vor. Mir hat jedenfalls die Schule damals den Spaß am lesen klassischer Literatur gestohlen und eine lange Zeit nicht mehr rausgerückt. Tja, jetzt studiere ich Literatur und hab keine Wahl mehr – aber das ist eine andere Geschichte.

Mittlerweile hat sich nicht nur meine Einstellung dazu ins Positive verändert, sondern auch in der Gesellschaft scheint eine Welle der Veränderung an Größe zuzunehmen. So finden sich zum Beispiel unter #booktok unzählige Jugendliche und junge Erwachsene, die sich über Bücher austauschen. Der Trend innerhalb dieser Bubble, die im Übrigen einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Buchmarkt hat, scheint dabei wieder eine neue Richtung angenommen zu haben. Dort heißt es: Goodbye smut und romantasy, welcome back Klassik.  Immer öfter werden alte Klassiker wie Dostoevskijs „Weiße Nächte“ oder Austens „Stolz und Vorurteil“ wiederentdeckt und weiterempfohlen. Man stößt auf Videos, die uns einmal quer durch den Kanon der Weltliteratur nehmen. Und ich kanns verstehen! Meiner Meinung nach sind diese Bücher alles andere als langweilig, wie es mein 15-jähriges ich damals gedacht hat. Viele Themen, die dort behandelt werden, sind auch heutzutage sehr präsent. Schon damals wurden Fragen nach Liebe, Identität und Macht gestellt. Es sind eben zeitlose Themen und menschliche Erfahrungen, die in diesen Werken verarbeitet wurden und über Jahrhunderte hinweg Bestand haben. Ganz schön krass eigentlich. Sie zeigen uns auf, was unsere heutige Welt geprägt hat. Diese Bücher entführen uns in vergangene Epochen verschiedener Länder und zeigen uns längst vergrabene Erinnerungen. Man braucht nicht unbedingt historische Romane, um Geschichte zu erleben. Wir wandern auf den Pfaden der deutschen Romantik, finden uns im russischen Realismus wieder und landen schließlich in der Postmoderne Englands. Es ist ein bisschen so, als würden wir in eine fremde Welt eintauchen, mit der wir aber doch irgendwie verbunden sind.

Klassische Literatur gibt nicht nur einen Einblick in Geschichte und Kultur, sondern bildet und regt zum Nachdenken an. Wir können unseren Wortschatz erweitern und lernen neue Dinge, sammeln Eindrücke und werden gleichzeitig unterhalten. Sie ist halt einfach etwas Besonderes.

:Alina Nougmanov

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