Ja, ja, dat schäbbig, aber cute Gelsenkirchen. Einst eine SPD-Hochburg, dann Shithole, dann Swiftkirchen, nun AfD-Hotspot. Armut, vermeintliche Überforderung durch Migration und das Gefühl, abgehängt zu sein. All das scheint die Menschen in die Arme der AfD zu treiben. Doch was steckt hinter diesem politischen Erdbeben?
Mein kleines dreckiges Gellek. Eine typische Pott-Stadt, laut den Medien. Gelsenkirchen steht seit Jahren für wirtschaftlichen Niedergang und soziale Probleme. Ja, die Stadt zählt zu den ärmsten Deutschlands. Die Perspektiven für die Bewohner:innen könnten auch besser sein. Junge Menschen verlassen die Stadt und diejenigen, die bleiben, schlagen sich mit Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit und einem Gefühl der Vernachlässigung herum.
Für viele ist auch der Zuzug von Südosteuropäer:innen sowie Geflüchteten aus der Ukraine und anderen Krisenregionen ein Problem. Wie in vielen anderen Städten werden hier die Stimmen bezüglich Überfremdung laut: „In manchen Schulklassen spricht kaum ein Kind bei der Einschulung vernünftig Deutsch“ oder „Hier wohnen kaum noch ‚Deutsche‘“, sind Standardaussagen geworden. Ja, das Stadtbild hat sich verändert – aber ich beziehe mich nicht auf die Menschen, sondern auf den Leerstand. Doch für viele Menschen ist es einfach zu viel des ‚Fremden‘.
Und das weiß die Alternative für Deutschland zu nutzen. Denn von der angespannten Situation profitiert die AfD wie keine andere Partei. Mit ihrem migrationsfeindlichen Kurs und ihrer Kritik an der etablierten Politik trifft sie den Nerv vieler Bürger:innen. Die Partei stellt sich als Stimme der „vergessenen“ Menschen dar – der Arbeiter:innen, der Erwerbslosen, derjenigen, die sich von den etablierten Parteien im Stich gelassen fühlen. Und das Fühlen ist hier ein wichtiger Punkt! Sie gehen nämlich über die gefühlte als die tatsächliche Wahrheit. Die AfD schürt Ängste vor Überfremdung und spielt mit dem Gefühl der Entwurzelung. In einer Stadt, in der viele Bewohner:innen bereits das Gefühl haben, in der eigenen Heimat zur Minderheit zu werden, fallen diese Botschaften auf fruchtbaren Boden. Das kommt auch bei Wählenden der Gastarbeiter:innen-Generation an. Sie sind Arbeitgeber:innen, Eltern, Rentner:innen und haben Angst, dass auch ihre Existenz unter der ‚Überfremdung‘ neuer Migrant:innen leiden wird.
Die meisten von ihnen haben früher die Sozialdemokrat:innen gewählt. Doch die SPD hat es nicht geschafft, Antworten auf die drängenden Fragen der Menschen zu finden. Zwar konnte Markus Töns (SPD) das Direktmandat gewinnen, doch die Partei verliert zunehmend an Rückhalt in der Bevölkerung. Auch die CDU mit ihrem Bundestagskandidaten Sascha Kurth konnte nicht überzeugen.
Wie es auch deutschlandweit zu sehen ist, stehen die etablierten Parteien vor der Herausforderung, das Vertrauen der Wähler:innen zurückzugewinnen. Dat is aber auch gar nich so einfach! Die Altparteien müssen nicht nur Lösungen für die wirtschaftlichen und sozialen Probleme der Region finden, sondern eben auch die Ängste und Sorgen der Menschen ernst nehmen. Wichtig! Dabei sollten sie nicht das Geblubber der AfD kopieren und weiter Hass säen. Denn bisher haben die – wie auch die AfD – keine überzeugenden Antworten parat.
So traurig wie dat Ganze als Gelsenkirchnerin auch is: Der AfD-Erfolg in Gelsenkirchen ist ein Symptom für tiefgreifende gesellschaftliche Probleme. Armut, Perspektivlosigkeit und insbesondere ein Gefühl. Das Gefühl, abgehängt zu sein. Es treibt die Menschen in die Arme derjenigen, die einfache Antworten auf komplexe Themen haben. Und das kann die AfD. Die Altparteien haben hier teilweise versagt. Denn die Gelsenkirchner:innen sind tief im Herzen Kumpels, egal mit wem. Doch, wenn das Leben teuer wird, guckt man auf die Teller der Anderen. Und wenn der eigene Teller eh schon leer ist, kann man ihn doch gleich mit Hetze und diskriminierenden Ideologien füllen.
Deswegen ist der Erfolg der AfD in Gelsenkirchen für mich leider kein Zufall. Sondern das Ergebnis tiefgreifender gesellschaftlicher Krisen und jener des Vergessenwerdens. In diesem Jahr steht eine Bürgermeister:innen-Wahl an, und ich kann nur hoffen, dass die Menschen sich wieder auf die alte Gelsenkirchner Ethik beziehen. Denn davon lebte und profitierte die Stadt der 1000 Feuer.
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