Zur Erinnerung der Befreiung von Auschwitz ist am 27. Januar der Holocaust-Gedenktag. Währenddessen steigen die Zahlen an antisemitischen Übergriffen jährlich. Welche Relevanz behält der Gedenktag auch für jüdische Mitmenschen inmitten dieser Vorfälle? Dazu kontaktieren wir die GESH Bochum, eine jüdische Studierendengruppe.
Gegen das Vergessen – das ist der Leitsatz, der am Holocaust-Gedenktag oft zitiert wird. Nachdem Israel 1951 bereits den Gedenktag Jom ha’Schoa und Deutschland 1992 den Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus’ einführten, wurde 2005 von der UN beschlossen, einen vereinten, internationalen Gedenktag zu ergründen. Im Zuge dessen sollen auch die Verbrechen des Nazi-Staates im Schulunterricht betont werden.
Den meisten Deutschen fehlen dazu aber mittlerweile Berührungspunkte. Den 80. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz erleben viele Zeitzeugen nicht mehr mit, und nur schätzungsweise etwa 0,3% der deutschen Bevölkerung sind jüdisch. Die Zahlen an informierten Bürger:innen sind weltweit rückläufig. Die Anzahl an Holocaust-Leugner:innen steigt. Während diese Statistiken schockierend sind, unterstreichen sie die Relevanz eines Gedenktages: Wer nicht an den Holocaust erinnert oder erinnert wird, droht, ihn zu vergessen, zu verfälschen, zu bezweifeln. Und noch wichtiger: So werden jüdische Mitbürger:innen vergessen, die es sich aufgrund ihres Bezugs nicht erlauben können, den Holocaust zu vergessen. Doch wie organisiert sich dieser Tag lokal, und wie wird er von Jud:innen empfunden?
Am 27. Januar stand die GESH, ein jüdischer Studierendenverband, vor dem Kulturcafé der Ruhr-Universität Bochum. Dort wurden Bücher über die Geschichte der lokalen jüdischen Gemeinschaft, Sticker und Poster ausgestellt. Dazu wurde ein Kasten mit Reis befüllt, in dem jedes Reiskorn für 50 in der Schoa getötete Jud:innen stand. Hätte man alle getöteten Personen mit Reiskörnern repräsentiert, würde das Produkt fast 200 Kilogramm wiegen. Dort kam ich mit einer in der GESH aktiven jüdischen Studentin ins Gespräch: Esther. In unserem Gespräch drehte sich viel über Pazifismus, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft und unsere Gemeinsamkeiten. Im Nachhinein bot ich sie darum, mir von ihrer Perspektive zum Gedenktag zu erzählen.
„Das Gedenken an den Holocaust ist schon immer ein wichtiger Schritt gegen das Vergessen gewesen, hat aber insbesondere aktuell aufgrund der politischen Lage in Deutschland an neuer Relevanz gewonnen“, erklärt sie. „Leider fällt mir seitens der Uni auf, dass, sofern ich weiß, tatsächlich nichts vorgesehen war, um das Erinnern aufrechtzuerhalten. Keine Poster, keine Veranstaltungen über die NS-Zeit, kein Social Media Post… Das Entziehen einer Haltung im Bezug auf den Gedenktag ist absolut enttäuschend und betont umso mehr, wie wichtig Freiwilligenarbeit in der Hinsicht ist.“
Sie erklärt weiter: „Im jüdischen Umfeld ist das ein Tag von massiver Bedeutung, weil unzählige Schicksale mit der grausamen Vergangenheit in Deutschland verwoben sind.“ Das deckt sich eindeutig mit den vorher erwähnten Informationen – Deutschland und Großbritannien erinnerten seit 1992 an die Opfer der NS-Zeit, aber nicht spezifisch an jüdische Opfer. Währenddessen ist der Gedenktag an den Holocaust in Israel ebenso ein Gedenktag für den jüdischen Widerstand und seit Jahrzehnten fest im israelischen Kalender verankert.
„Seien es Familienmitglieder, die verschleppt und vergast wurden oder Großeltern, die es geschafft haben, zu überleben. Der eigene Bezug erlaubt es nicht, zu vergessen, und erinnert stets an die Verantwortung, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Deswegen haben wir uns bei GESH dafür entschieden, trotz Winterpause zumindest im kleinen Rahmen etwas zu organisieren.“ Nachdem diese Eigeninitiative der Antidiskriminierungsstelle der RUB mitgeteilt wurde, unterstützte sie die GESH mit Informationsmaterial und dem Angebot eines kleinen Budgets. Dies war laut Esther sehr willkommen, da damit alle logistischen Fragen beantwortet wurden.
Esther ist auch aufgefallen, dass sich viele jüdische Menschen vor allem jetzt in ihrer offenen Religionsauslebung und -zuordnung unsicher fühlten. „Davidsterne als Kettenanhänger werden aus Angst vor hasserfüllten Kommentaren oder Schlimmeren unter dem Pullover versteckt und die jüdische Identität immer öfter verheimlicht“, erläutert sie. „So kann und DARF es nicht weitergehen! Ich bin stolz darauf, mich eine Jüdin nennen zu dürfen und genauso sollte jeder andere Mensch mit Stolz hinter seiner Identität stehen. Religionsfreiheit beginnt dort, wo die Angst endet und einer der Ansatzpunke dort ist, gegen das Vergessen vorzugehen.“
Die GESH Bochum ist auf Instagram unter @gesh.bo zu finden. Sie bewirbt neben jüdischen Festen und Gottesdiensten immer wieder Aktionen der interkulturellen Verständigung und gegen den Antisemitismus.
:Halima Okanović
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