Die Alternative für Deutschland (AfD) gilt als migrationsfeindlich – doch sie gewinnt ausgerechnet unter Menschen mit Migrationsgeschichte Stimmen. Eine Mischung aus Frust, Abgrenzung und konservativen Werten spielt eine Rolle für die Sympathie. Ein Blick auf einen überraschenden Trend.
Es scheint so, als wäre die AfD für Menschen mit Migrationsgeschichte unwählbar. Doch das Bild ändert sich vermeintlich. Auch wenn die Mehrheit migrantischer Wähler:innen weiterhin Parteien aus der politischen „Mitte“ bevorzugt, wächst eine Gruppe heran, die der Partei ihre Stimme geben möchte. Da ist es anscheinend egal, dass die Partei für einen harten Kurs gegen Migration steht.
Bei der vergangenen Bundestagswahl lag noch die SPD bei vielen Wähler:innen mit Migrationsgeschichte weit vorne. Achtung! Ich sag jetzt nicht, dass die alle die AfD wählen werden. But something has changed. Wenn ich Euch sage, dat mein Vattern immer hinter dieser Partei stand, egal was passierte. Aber irgendwie haben die auch meinen Vatta verloren. Er versteht schlichtweg nicht, wofür die stehen. Würde er jetzt die AfD wählen? Nein, aber Vattern steht sinnbildlich für viele Menschen aus der Gastarbeiter:innen-Generation, die ihr „das-hab-ich-schon-immer-so-gemacht“ kaum hinterfragen. Die Wahl 2017 zeigte auf, dass besonders Menschen aus der Türkei, Italien oder dem arabischen Raum traditionell eher Mitte-links wählten. Die Union hingegen hatte bei Spätaussiedler:innen aus der ehemaligen Sowjetunion einen guten Stand. Doch diese Muster lösen sich zunehmend auf.
Und nein, ich laber nicht nur! Eine aktuelle Studie des Deutschen Zentrums für Integrations- und Migrationsforschung (DeZIM) zeigt: Die SPD bleibt bei Menschen mit Migrationsgeschichte die beliebteste Partei, doch sie verliert an Zustimmung. Die Union hält sich stabil. Gleichzeitig werden kleinere Parteien wie das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) oder auch die AfD attraktiver. Vor allem bei postsowjetischen Migrant:innen kann die AfD punkten – und neuerdings auch in Teilen der türkisch- und arabischstämmigen wie konservativ afrikanischen Community.
Warum? Naja, ich hab hier nicht die Antwort auf alles und es gibt nicht DIE EINE Erklärung dafür. Vielmehr lassen sich mehrere Motive ausmachen:
Protest und Frust: Wie die meisten Menschen in Deutschland fühlen sich viele Migrant:innen von der Politik nicht gehört. Hohe Lebenshaltungskosten, Wohnungsnot und wirtschaftliche Unsicherheit treffen sie oft härter als andere. Aber zum Glück aller inszeniert sich die AfD als Partei des Protests – und das spricht einige an. Ich zitiere an dieser Stelle Burak Yilmaz: „Wenn Menschen arm sind, sind sie frustriert. Wenn sie frustriert sind, sind sie wütend – und dann brauchen sie den starken Mann, der auf den Tisch haut“.
Ablehnung neuer Migration: Menschen, die sich selbst als integriert sehen und von dem weiß-deutschen Volk als „guter Migrant“ akzeptiert worden sind, stehen neuer Zuwanderung oft skeptisch gegenüber. Die Standard-Floskel, die ihnen ins Ohr gesetzt wird: „Wir mussten uns alles hart erarbeiten – und jetzt bekommen die Neuen alles geschenkt.“ Die AfD, aber auch die CDU bedient sich hier aus dem klassischen Buch der White Supremacy um zwei Gruppen gegeneinander auszuspielen. Denn heute ist für die „Neuen“ eben alles einfacher als für die Alteingesessen.
Konservative Werte: Überraschung! Nicht alle Menschen mit internationaler Geschichte sind wie sie es auf Neudeutsch sagen: WOKE! Kommen wir noch mal zu meinem Vatta. Der gute Mann geht jede Woche in die Kirche und dort werden noch andere Werte gefeiert. Ja, nicht nur muslimische Menschen sind so … Surprise! Die AfD vertritt in einigen Bereichen Positionen, die eben mit traditionellen, patriarchalen Strukturen in manchen migrantischen Communitys übereinstimmen. Ob Genderkritik, Familienpolitik und auch die Ablehnung von „Wokeness“. Nochmal, nein mein Vatta wählt die nicht und sieht das ganze nicht so eng, wie es sich hier ließt.
Nationalismus und Abgrenzung: Diskriminierungen gibt es nicht nur gegen Migrant:innen, sondern auch unter ihnen. So gibt es etwa in der türkischen Community nationalistische Strömungen, die sich mit AfD-Positionen decken. Bei Russlanddeutschen wiederum spielt die Ablehnung muslimischer Migrant:innen eine Rolle. Dies sind nur ausgewählte Beispiele und ich könnte das Spiel noch ein paar Runden spielen.
Über die Jahre hat sich die AfD angepasst und weiß um diese Entwicklungen. Seit Jahren versucht sie aktiv, ihr Image zu verändern und auch anzuwerben. So gibt es inzwischen AfD-nahe Vereine mit Namen wie „Mit Migrationshintergrund für Deutschland“. Ziel: Die AfD als Partei der „integrierten Migrant:innen“ zu präsentieren. Doch die Strategie ist widersprüchlich. Während die Partei öffentlich um migrantische Stimmen wirbt, machen viele Mitglieder mit rassistischen Äußerungen Schlagzeilen. So bleibt die AfD für die Mehrheit der Menschen mit Migrationsgeschichte unwählbar.
Ja, aktuell handelt es sich um eine kleine Gruppe. Laut Wahlforscher:innen beträgt der Anteil migrantischer AfD-Wähler:innen etwa zwei Prozent – doch er wächst. Wir haben in den USA gesehen, wie Menschen aus marginalisierten Communites für Trump gestimmt haben. Er ist die Person mit dem Status eines Selfmade-Mannes, der es mal endlich anspricht. Yaaaay! Das lieben wir. Denn die kapitalistische Work-Hard-Culture, die in vielen Köpfen unserer Eltern implementiert wurde zeigt sich auch an der Wahlurne. Arbeiten muss sich halt lohnen und die anderen sind einfach zu faul. Die wirtschaftlichen Sorgen verschärfen dieses Denken der Ungerechtigkeit und das vertieft wiederum das Gefühl der gesellschaftlichen Spaltung. Und das macht die AfD attraktiv – auch für migrantische Milieus.
Christmas comes early this year! Also sprecht über die Wahl mit Freund:innen und Familie. Ich hab mit meiner Familie schon über die Wahl und die Zukunft ihrer Kinder in diesem Land gesprochen. Aktuell scheint es mir die einzige Lösung.
0 comments