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Der Trend, zur besten Version von sich selbst zu werden, ist nicht neu. In den letzten Jahren ist er besonders in den sozialen Medien immer präsenter geworden – eben Selbstoptimierung als „the way to go“. „The way to go“ ist allerdings nicht zwangsläufig auch „the way you must go“.

Disclaimer: Dieser Artikel spiegelt die persönliche Meinung der Autorin wider

Es gibt Dinge, die wir bestimmt alle besser machen könnten. Sei es, mehr Sport zu treiben, ausgewogener zu essen, achtsamer zu sein oder einfach öfter was für die Uni zu tun. Im Alltag kann es schnell passieren, dass etwas nicht so läuft, wie man es sich eigentlich wünschen würde. Hat man dann noch den Vergleich zu anderen Menschen, die es vermeintlich besser machen als man selbst, ist der Weg zum Grübeln kurz. Dabei müssen das nicht immer große Dinge sein, die einen zum Nachdenken bringen. Manchmal reichen die kleinsten Kleinigkeiten aus und man fängt an, seine Lebensweise zu hinterfragen. Was könnte man ändern, um zufriedener mit sich selbst zu sein? Wie kann ich das Beste aus mir herausholen?
Ist man dann noch auf Social Media unterwegs (und sind wir mal ehrlich, das sind die meisten heutzutage), kann man sich kaum noch davor retten. Man vergleicht sich automatisch mit den unzähligen Menschen, die ja eigentlich auch einfach ihr Leben leben. Ob makellose Bilder, traumhafte Beziehungen oder ein gesunder Lifestyle mit der perfekten Work-Life-Balance – der Input, den wir kriegen, ist riesig und ähnelt sich sehr. Scrollt man durch Plattformen wie Instagram, kann man sich kaum davor retten. Die Menschen, die wir sehen, scheinen irgendetwas anders zu machen. Aber wie schön für uns, dass Social Media nicht nur Probleme schafft, sondern auch direkt eine Lösung dazu liefert! „You know those girls that always look clean? Their skin is always glossed, and they never look like they’re wearing too much makeup? You may not be them, but here’s how to get their look”, heißt es auf Tik Tok. Andere „Clean Girls“ teilen ihre Tricks, wie Du eine natürliche Schönheit werden kannst. Minimalismus, Authentizität und ein frischer Look stehen dabei im Vordergrund.
Ob nun Clean Girl-Aesthetic, Schönheitsoperation oder doch lieber die fünf-Schritte-Anleitung zu Longevity, wie zum Beispiel US-Millionär Bryan Johnson es anstrebt – Du hast die freie Wahl und das Internet zeigt Dir, wie es geht.
Dass es dazu mehr braucht, als nur eine Unterweisung und ein paar Tipps vom Influencer XY, wird dabei oftmals außenvor gelassen. Nicht jeder hat das Geld oder die Zeit dafür. Auch das Mindset kann ein anderes sein und das ist dann eben so, denn wir sind schließlich alle nur Individuen, die zum ersten Mal auf dieser Welt sind. Schwierig wird es jedoch, wenn aus einem Wunsch nach oder dem Interesse an Selbstoptimierung ein Druck nach Perfektion wird. Genug Schritte gelaufen? Schon meditiert? Auch nicht die 30-minütige Pflegeroutine vergessen? Man möchte unbedingt zufrieden mit sich selbst und seinem Leben sein. Einfach zum „CEO der eigenen Gesundheit“ werden; stärker, schöner, effizienter, selbstbewusster, erfolgreicher und gesünder. Man denkt sich: „So muss Ich das machen, anders ist es falsch.“ Die beste Version von Dir selbst wirst Du schließlich nur, wenn Du es genauso machst wie die Ratgeber, Workshops und Coaching-Angebote es Dir nahebringen. Und hoppala, plötzlich ist man in einer Spirale gefangen, die einen immer tiefer in ihren Schlund zieht. Man fängt an, sich selbst unter Druck zu setzen und auf einmal reichen einem die bisherigen Erfolge nicht – man reicht sich irgendwie selbst nicht mehr. Dabei war das vorher doch gar nicht so, vielleicht war man nicht zufrieden, aber man hat nicht seine ganze Existenz in Frage gestellt.
Während man danach strebt, ein glückliches Leben zu führen, wird man auf dem Weg dorthin immer unglücklicher. Ergibt eigentlich keinen Sinn. Merkste selbst, ne?
Rudolph Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, warnt, dass körperliche oder geistige Selbstoptimierung an immer breiterer Akzeptanz und Normalität gewinnen würden.
Das Phänomen sei nicht neu, allerdings habe sich die Reichweite in der Gesellschaft vergrößert. Die Berliner Soziologin Dr. phil. Anja Röcke erklärt: „Dies liegt maßgeblich am Ineinandergreifen von bestimmten ökonomischen, kulturellen und technischen Entwicklungen“. Leistungsdruck würde dabei zwar nicht das Vorhandensein von Selbstoptimierung erklären, aber es wäre ein Erklärungsfaktor. „Nicht zu vernachlässigen als Faktoren sind zudem das immer größere Wissen zu körperlichen Prozessen und die größere Verbreitung von Technik.“ So kann man mittlerweile dank Applewatch und co. beispielsweise viele Werte selber messen – der Sprung zur täglichen Kontrolle ist klein.

Was ist also mein Fazit?
Die Welt der sozialen Medien ist nicht nur nahezu unendlich groß, sondern vor allem eines: mehr Schein als Sein. Social Media wird zur Bühne, auf der wir die beste Version von uns selbst oder den Weg dahin präsentieren. Die erlangte Anerkennung klingt dabei wie der Applaus für unseren Auftritt. Fehlende Anerkennung hört sich hingegen nach Buh-Rufen an. Der Trend wird dann mal schnell zum Wahn und hinter der ganzen Selbstoptimierung baut sich ein immer größerer Leistungs- und Kontrolldruck auf, einem bestimmten Ideal zu entsprechen. Da liegt die Frage nahe, ob es gerade noch Selbstoptimierung oder schon eher Selbstzerstörung ist.
Der Wunsch nach dem „perfekten Ich“ existiert weiter, doch was ist eigentlich dieses „perfekte Ich“ und kann man das wirklich so pauschalisieren? Dafür müsste man zunächst klären, was es überhaupt heißt, „perfekt“ zu sein. Und wer bestimmt schon, wo Perfektion anfängt und wo sie aufhört? Die eine Perfektion gibt es nicht, die Vorstellung davon hat viel mehr etwas von einem utopischen Zustand als von der tatsächlichen Realität.
Das Streben nach Selbstoptimierung und die zunehmende Beschäftigung damit sind im Grunde genommen nicht durchweg schlecht. Im Gegenteil, der Ansatz ist sogar positiv; schließlich geht es ja darum, etwas Gutes für sich und sein Wohlbefinden zu tun. Eben die beste Version seiner selbst zu sein und das ist schön. Etwas auf Teufel komm raus umsetzen zu wollen und das mit allen Mitteln, sollte aber vielleicht nicht die Methode sein. Ein Perspektivenwechsel kann hilfreich sein. Die verschiedenen Möglichkeiten müssen nicht zwanghaft als Aufgabe angesehen werden. Sie können genauso gut zur Inspiration werden, die uns motiviert – und nicht frustriert.

:Alina Nougmanov

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