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Am 5. November ist die Buchwissenschaftlerin Corinna Norrick-Rühl von der Universität Münster an unserer Ruhr-Uni zu Besuch gewesen. Sie hielt im Rahmen der Vorlesung „Schattenseiten der Literatur“ einen Gastvortrag. Im Mittelpunkt stand dabei die Repräsentation von BIPoC im Verlagswesen und die damit verbundene Ausgrenzung von nicht-weißen Autor:innen.

Das Jahr 2020 könne als Zäsur in der US-amerikanischen Verlagsgeschichte gesehen werden. „A Moment of Moral Urgency“ fand statt. Die Menschen sind aufgewacht und stellten fest, „irgendwie sind alle weiß“, so Norrick-Rühl.
Mehr oder weniger losgetreten wurde das durch die Erscheinung eines Romans und der darauffolgenden Kontroverse. Es handelt sich um American Dirt von Jeanine Cummins, der die Geschichte einer Mexikanerin erzählt, die mit ihrem Sohn versucht, auf illegale Weise die Grenze zu den USA zu passieren.
American Dirt aktivierte bereits vor seinem Erscheinen sämtliche Marktlogiken für einen erfolgreichen Roman und man ging davon aus, dass er ein „Hit“ werden würde.
Schon kurz nach dem Erscheinen hagelte es jedoch für den Roman und die Autorin Kritik, man würde mit Klischees arbeiten und aus einem ernsten Thema Unterhaltungsliteratur schaffen. Auch ihre Werbung für den Roman sei fragwürdig. So posiert sie lächelnd für die Kamera, während sie das Buch hochhält. Auf dem Cover ist ein Stacheldraht abgebildet, der an die abgeriegelte Grenze erinnert. Der weiße Hintergrund mit floraler Dekoration drauf wirkt schon fast freundlich, was grotesk ist, wenn man bedenkt, um was es in dem Roman geht. Ein ähnliches Design findet sich auch auf ihren Fingernägeln wieder.
Das Stacheldraht-Motiv und die tragische Geschichte würden auf diese Weise zum „Trauma-Porn“ werden. In ihrem Statement versuchte sich Jeanine Cummins zu rechtfertigen und gab an, sie selbst würde mit einem „undocumented“ Ehemann zusammenleben. Nachträglich stellte sich heraus, er sei irischer Abstammung. Nun stand die Frage im Raum, ob Jeanine überhaupt berechtigt sei, diesen Roman zu schreiben.

Besonders die Pandemie hätte im Jahr 2020 gezeigt, wie ungleich die Gesellschaft in Amerika ist. Die Arbeits- und Lebensverhältnisse sind durch Race gekennzeichnet. BIPoC wurden überproportional oft krank und verstarben daraufhin. Im Juni 2020 kam es außerdem zu der Protestwelle #BlackLivesMatter und eine Zeit für Veränderungen wurde angestimmt. Im selben Monat startete die #BlackoutBestsellerLists Initiative und motivierte die Menschen, Werke von Schwarzen Autor:innen zu kaufen. Der Wind der Veränderungen wurde also auch in die Verlagslandschaft geweht. Das führte dazu, dass der Hashtag #PublishingPaidMe von der Schwarzen Autorin LL McKinney viral ging. Damit wurden weiße Autor:innen dazu aufgerufen, die Höhe ihres Gehalts preiszugeben. An dieser Stelle sei erwähnt, dass es in der Branche nicht üblich ist, offen über Geld zu reden. Diese Aktionen zeigten die wahre Situation auf. Nicht nur die Vertragsbedingung schienen für nicht-Schwarze Autor:innen besser zu sein, sondern auch die finanzielle Ungleichheit bei der Bezahlung wurde deutlich, als auch Schwarze Autor:innen ihre Einkünfte teilten.

#Blackpublishingpower – „To demonstrate our power and clout in the publishing industry, Sunday June 14 – Saturday June 20, we encourage you to purchase any two books by Black writers.” Ihr Ziel sei es, “to Blackout bestseller lists with Black voices.”
Sichtbarkeit, Unterstützung und Gleichberechtigung seien immer noch Baustellen, an denen in der Verlagsbranche gearbeitet werden müsse. Noch erscheinen sie eher als Trends, statt als richtige Veränderungen. Das zeige sich auch in der Arbeitswelt dieser Branche zeigen. Das Kräfteverhältnisse auf dem Buchmarkt sei sowohl in den USA als auch in Deutschland unausgeglichen. Verkaufszahlen würden in der Verlagsbranche zunehmend wichtiger. Die Zielgruppe seien meist „Susans“, also weiße Frauen mittleren Alters, die viel Freizeit hätten und daher angesprochen werden müssten. So würden auch hauptsächlich weiße Autor:innen den Markt bestimmen, erzählt Norrick-Rühl. Die Voluntäre seien meist „mixed“, geht es jedoch auf der Berufsleiter weiter nach oben, ist die Aussicht hauptsächlich weiß. Untersuchungen, wie die Lee and Low diversity baseline study, welche die Mitarbeiter in Verlagshäusern erfasst, unterstützen diese These.
Um an dieser Situation etwas zu ändern, wäre 2020 sichtbares Recruiting von BIPoCs gefolgt. BIPoCs wurden auch in höheren Positionen im Verlagswesen eingestellt. Doch Beispiele wie Lisa Lucas von Pantheon Books und Dana Canedy von Simon & Schuster zeigen, dass ein ernsthaftes Umdenken fehlt. Waren sie vor vier Jahren noch in ihren Positionen tätig, arbeiteten sie heutzutage nicht mehr in ihrem Amt. Die Ungleichheit in der Verlagswelt sei auch heute zu spüren, längerfristige Veränderungen würden bis dato fehlen.

:Alina Nougmanov

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