Armut ist Teil des Alltags vieler Menschen und vor ihr die Augen zu verschließen, lässt sie nicht verschwinden. Warum jedoch auch nicht jeder Blick auf Armut ihrer Realität gerecht wird, zeigt sich im Umgang vieler Medien mit diesem Thema. Zwei Beispiele.
Dass sich Kunst mit Armut beschäftigt, ist keine neue Entwicklung. „The Family of Man“ war eine Fotoausstellung im New Yorker Museum of Modern Art, welche im Jahr 1955 eröffnet wurde und auf ihrer Welttour auch in Deutschland haltmachte. Auf dieser Ausstellung wurde unter anderem auch Dorothea Langes weltberühmtes Foto „Migrant Mother“ ausgestellt. Als „Porträt der Menschheit“, welches eine universelle Natur aller Menschen darstellen sollte, konzeptioniert, wiesen Kritiker*innen schnell auf eine Mystifikation einer Naturverbundenheit und auch Armut hin. Zugrunde läge ein sentimentaler Humanismus, der in armen, oft nicht-weißen Menschen eine romantisierte Reflexion der eigentlichen menschlichen Natur sah – schlussendlich eine intellektualisierte Form der als „Völkerschau“ bezeichneten Zurschaustellung entführter, exotisierter und rassifizierter Menschen aus den Kolonien für die Menschen in Europa und Nordamerika. Aus einer weißen Perspektive, für ein weißes Publikum, wird über Menschen geredet, statt mit ihnen. Darstellungen von Armut in Kunst und Medien bewegen sich oft in einem Spannungsfeld aus othering, Ausgrenzung, sogar Verachtung, aber auch Verpflichtung und Sorge bis hin zur schon erwähnten Romantisierung des „einfachen Lebens“ in einer vermeintlich immer komplexer werdenden Welt.
Die Ausstellung „Die Unsichtbaren“ zeigt schwarz-weiß Fotografien von Obdachlosen und wurde seit 2014 an vielen deutschen Bahnhöfen gezeigt. Auf das Verdrängen, das Vorbeigehen und Wegsehen soll aufmerksam gemacht werden, die Geschichte der Fotografierten erzählen und sie als Menschen statt als Problem oder Störfaktor darstellen. Der Verkaufserlös des dazugehörigen Bildbandes geht an die Bahnhofsmissionen. Die Realität an den Bahnhöfen ist oft eine andere. Ob selbst den Porträtierten überhaupt Zugang zur Ausstellung gewährt wird, bevor sie von DB-Sicherheit oder Bundespolizei des Platzes verwiesen werden, bleibt zweifelhaft. Die Verfolgung bettelnder Menschen beispielsweise ist alltäglich, obwohl Bettelei nicht mehr strafbar ist. Über juristische Tricks und Subunternehmen schafft die BRD die Grundlage, Bahnhöfe – die eigentlich öffentlicher Raum sein müssten, zu 100 Prozent dem Staat gehören – wie Privatgrund zu behandeln. Und somit auch Menschen, die dort Betteln oder Schlafen wegen Hausfriedensbruch zu belangen. So wurde bei der Ausstellung eventuell noch „auf Augenhöhe“ mit den Menschen geredet. Im nächsten Moment sind sie jedoch wieder mit der Realität ihrer Armut und Obdachlosigkeit konfrontiert. Da ist auch der Erlös des Bildbandes, der irgendwie einen warmen Platz im Bücherregal findet, nur ein Tropfen auf dem heißen Stein.
:Jan-Krischan Spohr
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