Bild: Die Schönheit der Straße: alles zieht vorbei. , Ausgedehnte Spazierfahrten Bild: CC0

Mit Ryūsuke Hamaguchi und seinem Meisterwerk „Drive my Car“ geht ein neuer Stern am Regie-Himmel auf.  

Kurzgeschichten von Haruki Murakami zu adaptieren entwickelt sich langsam zu einem neuen Trend im ostasiatischen Kino und falls die bisher dabei entstandene Qualität aufrechterhalten werden kann, könnte das die dortigen Ausnahme-Regisseur:innen noch zu weiteren Höchstleistungen inspirieren. Die Erzählungen des japanischen Bestsellerautors können auf den ersten Blick leicht unaufgeregt beziehungsweise banal wirken, doch liefert er stets einzelne Momente und Ideen, die den:die Lesende:n noch lange verfolgen werden. Murakami bringt Weltbilder durch wie beiläufig wirkenden kleinen Details ins Schwanken, die seine Protagonist:innen daraufhin verzweifelt wieder stabilisieren wollen. 2018 brachte der Südkoreaner Lee Chang-Dong mit „Burning“ eine perfekte Widerspiegelung dieses Lesegefühls auf die Leinwand, wobei Kurzgeschichte und Drehbuch eigenständig bleiben und doch zu einer Einheit fusionieren, denn die extrem subtilen Andeutungen in den Büchern, müssen für den Spielfilm interpretiert und weitererzählt werden. 

Hamaguchi nimmt sich für „Drive my Car“ die gleichnamige Erzählung aus dem Sammelband „Von Männern, die keine Frauen haben“ vor, wofür er sich drei Stunden Zeit nimmt. Der halbstündige Prolog zeigt den Theaterregisseur Kafuku, der mit seiner Ehefrau Oto eine liebevolle Beziehung führt, die jedoch unter dem Schatten ihres vor einigen Jahren sehr jung verstorbenen Kindes steht. Das Paar hat großen beruflichen Erfolg und führt ein augenscheinlich perfektes Leben von Bildungsbürger:innen. Sie bereichern sich gegenseitig in ihrem kreativen Schaffen und Oto hat ihre besten Ideen direkt nach dem Sex, denen Kafuku dann aufmerksam lauscht, um seiner Frau am nächsten Morgen ihre längst wieder vergessenen Ergüsse wiederzugeben. Doch Oto gibt sich nicht nur ihrem Mann hin und wird eines Tages von diesem gesehen, wie sie ihn mit einem jungen Schauspieler betrügt, dieser lässt sich daraufhin aber nichts anmerken. 

Bald darauf stirbt Oto unerwartet und Hamaguchi zeigt den verwitweten Theaterregisseur zwei  Jahre später auf dem Weg nach Hiroshima, wo er „Onkel Wanja“ von Tschechow inszenieren soll. Seine Autofahrten sind Kafuku heilig, denn während er seinen roten Saab 900 über die Straßen gleiten lässt, hört er jedes Mal eine Aufnahme des Stückes, an dem er arbeitet. Seine Frau hatte das von ihm schon einmal gespielte Drama eingesprochen und immer die Zeilen der Hauptfigur frei gelassen, damit Kafuku diesen Part übernehmen und den Rhythmus verinnerlichen kann. In Hiroshima wird ihm jedoch eine junge Chauffeurin zugeteilt, mit der er nun den Schutzraum seines Autos teilen muss. Während den langen Fahrten hören sie gemeinsam das Band, weshalb die charismatische Oto niemals ganz den Film verlässt, sondern wie ein Geist unaufhörlich Tschechows Worte rezitiert. Die Hauptrolle des Wanja soll obskurer Weise ausgerechnet von dem jungen Schauspieler namens Kōji übernommen werden, den Kafuku einst zusammen mit seiner Frau gesehen hatte. Bei der Produktion selbst sprechen die meisten der Schauspielenden unterschiedliche Sprachen, wie Koreanisch, Mandarin, Japanisch oder Gebärdensprache, weshalb sie beim gemeinsamen Spiel meistens nur sich selbst verstehen. Dieses Motiv zieht sich auch außerhalb der Bühne durch den ganzen Film, weshalb es sich auch lohnt, die Originalfassung zu sehen, denn die ständige Übersetzung, die für Kommunikation notwendig ist, bringt eine nie dagewesene Poesie des Ungewissen hervor. 

  :Henry Klur

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