Bild: Symbolbild, Lernen"Nein" zu sagen! Bild: bena

Triggerwarnung/Contentnote: Auf den folgenden Seiten wird es primär um Gewalt in Beziehungen gehen, wenn Du Dich bei diesem Thema nicht wohlfühlst, empfehlen wir Dir, dieses Interview zu meiden.  

 

Rund 81 Prozent der betroffenen FLINTA erfahren Gewalt in Partnerschaften. Im Jahr 2020 wurden 139 Frauen durch Partnerschaftsgewalt getötet. So scheint es für viele klar, wenn man von Gewalt in Beziehungen spricht, dass meist die höchste Eskalationsstufe gemeint ist. Jedoch fängt Gewalt auf den verschiedensten Ebenen früher an! Im Gespräch mit der ausgebildete Sexualpädagogin Mascha haben wir über Konsens in Beziehungen gesprochen und wie wichtig es ist, zu erlernen seine Grenzen durchzusetzen.

:bsz: Was ist Konsens? 

 

Mascha: Konsens ist ertseinmal ein Riesenwort und ich muss sagen, ganz lange konnte ich nichts damit anfangen und fand den Begriff unsexy. Ich persönlich finde der Begriff klang sehr mechanisch und nicht so menschlich. Nach dem Motto: „Wir besprechen jetzt vorher ganz konsensuell, sozusagen wir finden einen gemeinsamen kleinsten Nenner“. Inzwischen habe ich lernen dürfen, dass Konsens eigentlich unfassbar, und ich benutze jetzt sehr bewusst dieses Wort „unfassbar“, sexy sein kann, wirklich. Letztlich bedeutet Konsens sehr viele verschiedene Sachen; aber es bedeutet, dass alle beteiligten Personen zustimmen in dem Moment und die Möglichkeit haben die Situation im Notfall zu beenden. Ich finde, das ist der key factor in dem Zusammenhang.  
Letztlich findet eine Grenzüberschreitung – wenn man es ganz wortwörtlich nimmt – schon in dem Moment statt, wo ich den anderen Körper berühre. Damit überschreite ich schone eine körperliche Grenze! Und dann sollte man sich fragen, wie okay das ist oder ob die die andere Person in dem Moment auch so empfindet. 

 

 Ist es den weiblich gelesenen Menschen so anerzogen worden, das dann einfach mitzumachen,  wenn der Mann möchte?  

Ja, das ist ein riesengroßes Problem und das betrifft unfassbar viele weiblich gelesene Person oder ehrlich gesagt auch viele queer People. Ich würde sagen, fast jede Person, die nicht männlich sozialisiert wurde, lebt zumindest in einer dauerhaften Anspannung, dass eine ihrer Grenzen überschritten werden könnte. Selbst wenn es der Person noch nicht selbst passiert ist, ist es so omnipräsent. Und das ist quasi das kollektive Trauma, mit dem wir uns begegnen: Weiblich sozialisierte Person mit der inneren Anspannung „irgendwie könnte jemand eine Grenze überschreiten“ und männlich sozialisierte Personen mit der Anspannung „ich könnte gerade eine Grenze überschreiten“. Letztlich sozialisieren wir Jungs ja auch in die Richtung, also es gibt ja immer noch diese Ideen von: „Du musst dreimal Fragen oder du musst ihr dreimal ein Angebot machen und zweimal Nein ist ok, aber beim dritten Mal wird sie schon ja sagen“. Diese Mythen gibt es ja immer noch und die sind glaube ich, sehr viel präsenter, als wir uns das vorstellen können.  

 

Quasi dieses aus dem Kindergartensprech: Wenn er dich schlägt, dann mag er dich? 

Das spielt genau da rein und das ist drastisch, weil in diesem Beispiel geht es ja wirklich Richtung körperliche Gewalt. Man muss aber auch sagen, dass ich nicht davon ausgehe, dass Jungs, die das damals getan haben, dies heute auch noch machen. Jedoch sagt es unfassbar viel über unsere Kultur aus, in der das noch eine Vorstellung ist. Ich nehme mal das Beispiel Twilight. Das Buch kam 2004 raus und die Geschichte ist nicht konsensuell, hat mich aber in der Jugend geprägt und mir ein Bild gezeigt wie sexy Beziehungen aufgebaut sind: Er macht Ansagen, sie sagt „ach nee“, er sagt „doch das ist gut für dich!“ Und sie sagt dann „ja ok!“ 

 

In Werbekampagnen wird gerne gezeigt, das FLINTA* sich schützen sollen, entzieht das die Verantwortung des Mannes? 

Total. Ich finde es auch eine totale Verdrehung von Verantwortung. Und deswegen müssen Männer in dem Bereich gebildet werden, und zwar nicht nur nach dem Motto “mach das selbst nicht“, sondern auch „hab ein Auge drauf!“ Der Fall um einen bekannten Komiker hat gezeigt, wie vermeintlich alle ein bisschen wussten, was los war, aber auch nichts gesagt haben, weil er ein sympathischer Typ ist. Und genau sowas passiert häufig, dass der Umkreis von Betroffenen sich denkt: „Das hätte ich jetzt aber von ihm nicht gedacht, der ist doch immer gut drauf und hat immer Stimmung gemacht. Warum war der jetzt plötzlich übergriffig?“ Das sollten wir aber eigentlich langsam gelernt haben, dass es eben doch auch häufig die netten, lustigen, beziehungsfähigen Typen sind. Denn sonst macht die Statistik wenig Sinn, dass hauptsächlich Übergriffe und vor allem sexuelle Übergriffe in der Beziehung selbst stattfinden. Der Creepy-Dude, der nachts aus dem Busch springt, das ist eher der Sonderfall. 

 

Hat Konsens immer was mit Sex zu tun? 

Man kann Konsens auch in der ganz normalen nicht sexuellen Begegnung üben. Also das braucht natürlich Übung, das fühlt sich am Anfang vielleicht etwas ungewohnt an, aber das ändert sich schnell und ist ein totaler Game Changer. Ich habe Menschen kennengelernt, die das praktizieren und es ist so schön mit ihnen zu sprechen, weil das ein Gespräch auf Augenhöhe ist. Das sind einfach Menschen, die regelmäßig checken und fragen: „Ist es gerade ok, was hier passiert?“ Zum Beispiel wenn jemand auf einem Date ist, und dann kommt das Gespräch auf die vorherige Beziehung. Wenn eine der Parteien das schnallt und einmal fragt: „Ist es ok für dich, wenn ich davon erzähle?“, das ist schon Konsens, denn sie haben die Möglichkeit nein zu sagen. Vor allem für Menschen mit Vagina und Vulva ist es wichtig und notwendig, das Angebot zu kriegen und kurz innezuhalten und sich selbst zu fragen, will ich das? Konsens kann also auch geübt werden in einem normalen Gespräch und kann auch wirklich sexy sein. Wenn jemand zum Beispiel sagt: „Darf ich dich küssen?“ und du für dich weißt, ich darf ja oder nein sagen! 

 

Sollte Konsens schon im Kindesalter gelehrt werden? 

Ja, ich glaube daran, Konsens und gewaltfreie Kommunikation zusammengekoppelt irgendwie beizubringen, da der Hintergedanke ist: Du als Person reagierst emotional auf dein Umfeld oder mit allem was du gelernt hast und dann bist du dafür verantwortlich mit diesem Wissen in die Welt zu gehen und niemand anderes sollte dir die Möglichkeit geben, das zu zeigen. Ich glaube schon Grundschulkinder können gewaltfreie Kommunikation lernen und das ist absolut notwendig, weil dann würden wir lernen nachzufragen, also mit unseren gegenüber einzuchecken. Daraus kann ein Moment von Sicherheit entstehen, in dem viel mehr Freiheit möglich ist. Unser jetziges Verständnis von Freiheit auch gerade in Bezug auf Sexualität ist gar nicht so frei! Wir wiederholen irgendwelche Skripte, die uns vorgegeben wurden. Deswegen sollten Kinder es lernen. 
Sie sind viel mehr bei sich selbst und haben sich noch nicht framen lassen, wie Beziehungen auszusehen haben.  

 

Welche Rolle spielt das Arrangieren in der Beziehung? 

Deswegen habe ich am Anfang gesagt, für mich war eine der größten Lernerfahrungen zum Thema Konsens in der Sexualität, dass ich „Nein, Stopp“ sagen durfte. Und das ist ein harter Prozess. Das, was dann passiert, wird schwer! 
Außerdem könnte konsensueller Sex bedeuten, dass wenn wir mit dem Sex anfangen und ich merke irgendwann, ich bin mit dem Kopf oder Körper gar nicht mehr so richtig dabei, und wenn man sich dann denkt: „Ich kann nicht mehr so richtig dabei sein, ich performe gerade“, sollte man „Stop, wir hören jetzt hier auf!“ sagen. Das ist wirklich hardcore, aber geiler Konsens! Wenn man das kann und dazu gehören zwei Personen, die eine, die es anspricht und die andere, die es aushält, dann hat man eine richtige Grundlage und es erlaubt mir zu merken, was in meinem Körper passiert. Der Pornosex mit Fake-Orgasmus fällt aus, sondern man hat Sex für sich und seinen Körper!  

 

Welche Rolle spielt die Angst in diesem Konstrukt? 

Es liegt daran, dass wir es nicht lernen dürfen. Als weiblich sozialisierte Person lernen wir: Sei nett, sorge für gute Stimmung, sei fürsorglich, guck, dass es allen gut geht, und das ist das Gegenteil von „Nein, Stop!“. Deswegen können und müssen wir aber auch das „Nein, Stop!“ außerhalb der Sexualität lernen. Gleichzeitig muss die andere Seite doppelte Aufarbeitung leisten, denn sie muss lernen aus diesem: „Ich nehme mir das, was ich möchte“ rauszukommen. Für Konsensarbeit ist auch Aftercarework immens wichtig. Also auch zu lernen nach dem Sex, wenn es irgendwie möglich ist, unangenehme Dinge ansprechen zu können oder zu fragen: „War das gerade ok?“ 

 

Wie geht man damit um, wenn eine Person es gar nicht mitbekommt, weil sie schläft oder dadurch wach wird? 

In manchen Beziehungen ist sowas abgesprochen und für beide Parteien konsensuell, ich persönlich würde aber empfehlen da immer noch mal nachzufragen, da es manchmal sein kann, dass die Vorstellung eine andere ist und die Person sich doch nicht so wohl fühlt. Einige kommen in eine Starre und diese ist eine Traumareaktion und ich weiß, Trauma ist ein superschweres Wort. Doch dieser Freeze-Moment, das ist ein Trauma! Der Körper kommt eben in Stresssituationen nicht nur in den Fight and Flight, sondern auch Freeze Modus, wenn es einfach zu einer
großen Überforderung vom Nervensystem kommt. Dann geht er in Schockstarre und wenn das einmal passiert ist, dann braucht es ganz viel gute Arbeit, um da wieder herauszukommen. Und sowas passiert sehr vielen insbesondere weiblich gelesen Personen in ihrem Leben. Darüber müssen wir reden und meist finden solche Gespräche in einem Nebensatz statt. Und ich lege ihnen nicht das Wort Vergewaltigung in den Mund, aber nach meinem Verständnis waren die Erzählungen nah dran. 

Das Interview führte :Abena Appiah

 

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