In Dortmund läuft seit kurzem ein Gerichtsverfahren gegen zehn Mitglieder der rechten Szene wegen Volksverhetzung.
Es war ein Prozessauftakt unter ungewöhnlichen Bedingungen: Wegen der Corona-Pandemie, weil auf der Anklagebank zehn Personen mit ihren insgesamt rund 20 Anwält:innen sitzen und aufgrund des erwarteten großen öffentlichen und medialen Interesses fanden die ersten Sitzungen im kürzlich angelaufenen Dortmunder Neonazi-Prozess im Freizeitzentrum West (FZW) in Dortmund-Mitte statt. Der Prozess gegen die vor Gericht Stehenden hatte eigentlich bereits Ende Oktober begonnen, wurde aber am ersten Verhandlungstag auf Antrag der Verteidigung bereits nach wenigen Minuten vertagt, weil die Anwält:innen noch nicht alle Beweise der Anklage gesichtet hätten.
Das Verfahren dreht sich um zwei rechte Aufmärsche am 21. September 2018. Damals hatten Nazi-Gegner:innen im Dortmunder Stadtteil Dorstfeld, wo es seit Jahren eine Wohngemeinschaft der lokalen rechten Szene gibt, die das Viertel als „Nazikiez“ deklariert, ein Stadtteilfest veranstaltet, um der Präsenz der Neofaschist:innen etwas entgegenzusetzen. Die Neonazis hatten offenbar zunächst versucht, sich unter die Festivalbesucher:innen zu mischen, hatten dann aber Platzverweise erhalten. Daraufhin zogen noch am selben Abend rund 100 Rechte mit einer Spontan-Demonstration durch den Stadtteil. Dabei war, wie Beobachter:innen berichten, kaum Polizei zugegen. Diese war zu diesem Zeitpunkt dabei, gemeinsam mit der Bundespolizei und in Anwesenheit von NRW-Innenminister Reul (CDU) medial groß in Szene gesetzte Razzien gegen Shisha-Bars im Dortmunder Norden durchzuführen. „Die „sensationellen“ Funde waren“, wie Iris Bernert-Leushacke von der Linkspartei ironisch feststellte, auch damals wieder einmal nicht mehr als „ein paar Kilogramm unversteuerter Tabak.“ Die Neonazis nutzten ihren freien Spielraum, um sich in rassistischen Parolen zu ergehen und fühlten sich ermutigt, nach der Demonstration, in tiefster Dunkelheit, mit rund 70 Personen, ohne Anmeldung, dafür mit Pyrotechnik und Reichsfahnen, ihren Anspruch auf den Dortmunder Stadtteil zu erheben.
Der konkrete Anklagepunkt lautet Volksverhetzung. Die Nazis riefen unter anderem „Wer Deutschland liebt, ist Antisemit“, was durch Videoaufnahmen von einem anwesenden Journalisten dokumentiert ist. Von der Polizei ging allerdings keinerlei Initiative aus, diesen Tatbestand zur Anzeige zu bringen. Stattdessen erklärte der als Zeuge geladene Polizeikommissar E. bei seiner Vernehmung, die Stimmung sei „nicht aggressiv“ gewesen. Außerdem handle es sich bei der besagten Parole um keine strafrechtlich relevante Aussage. Damit folgt E. der Einschätzung des Staatsschutzes, der auch die Staatsanwaltschaft lange gefolgt war. Dass sich letztere mittlerweile doch für einen Prozess entschieden hat, dürfte vor allem am öffentlichen Druck gelegen haben, nachdem die Aufnahmen des Naziaufmarschs publik wurden.
Lange galt Dortmund als westdeutsche Neonazi-Hochburg. Von Polizei und Politik wurden die Rechten lange ignoriert, Dortmund habe kein Nazi-Problem, hieß es damals stur. Erst nach jahrelangem Druck von Antifaschist:innen und nachdem die Dortmunder Szene regelmäßig durch Gewalttaten und große Aufmärsche bundesweit und international Aufmerksamkeit auf sich lenkte, lenkten die Behörden und Regierenden ein und gestanden die Sachlage ein. Zuletzt schwächelte die Dortmunder Neonazi-Szene, nachdem einige Führungskader die Stadt verließen und mit Siegfried Borchardt, alias „SS-Siggi“, zuletzt auch ihre Vaterfigur starb.
:Leon Wystrychowski
0 comments