Kommentar. Die Initiative „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ war am Wahlsonntag erfolgreich, doch das Ergebnis ist nicht verpflichtend.
Durch mehr als 343.000 gesammelte Unterschriften kam es am Wahlsonntag in der Hauptstadt zum Volksentscheid über die Enteignung großer Immobilienkonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen in Berlin. Trotz fortwährender Apathie-Bekundungen der zur zeitgleich stattfindenden Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus kandidierenden Politiker:innen, entschieden sich 56,4 Prozent der Berliner:innen für die Vergesellschaftung. Wer die Regierung bildet und damit auch das Bürgermeister:innenamt im Stadtstaat bekleiden wird, ist noch nicht geklärt, doch auch die Spitzenkandidatinnen der vermeintlich wohlgesonnenen Parteien von SPD und den Grünen haben sich im Vorfeld bereits skeptisch geäußert. Würde man daran festhalten und sich mit Beginn der neuen Amtszeit direkt gegen den erklärten Willen des Volkes stellen, käme das einem politischen Skandal gleich und würde die restliche Legislaturperiode unter keinen guten Stern stellen.
Immer wieder war zu hören, eine Vergesellschaftung sei kontraproduktiv, weil es darum ginge mehr zu bauen, um neuen Wohnraum zu schaffen. Allerdings fehlt es eigentlich nicht am Wohnraum selbst, sondern vor allem an dessen Bezahlbarkeit. Die großen Immobilienkonzerne, zu denen auch das Bochumer Unternehmen Vonovia gehört, profitieren vor allem durch Mietenspekulation mit Hilfe von überflüssigen Modernisierungen. Währenddessen verfallen viele Wohnungen in Konzernhand wegen unzureichender Instandhaltung. Von Interesse sind in erster Linie teure Luxuswohnungen, die sich nur ein Bruchteil der Bevölkerung leisten kann, während mit den Gewinnen aus den Mieteinnahmen kaum neugebaut wird. Natürlich werden für die Enteignungen hohe Entschädigungssummen fällig, die aber aus den folgenden Mieteinnahmen mit der Zeit wieder refinanziert werden können, ohne den Landeshaushalt zu belasten.
Wenn die Vergesellschaftung über die Bühne geht, könnte das positive Auswirkungen auf die Mieten von 240.000 Wohnungen in Berlin haben. Außerdem wird auf diese Weise ein Zeichen gegen die Profitorientierung am Wohnungsmarkt gesetzt. Bei Lebensgrundlagen, wie dem Dach über dem Kopf, ist es einfach grotesk sich auf die Regeln des Marktes zu verlassen. Denn eine leerstehende Wohnung kann zwar zeitweise Gewinne maximieren, aber auch gleichzeitig den Aufbau einer Existenz verhindern. Zudem gehörten die betroffenen Häuser früher ohnehin der Allgemeinheit, bis sie vom Senat fatalerweise zu Spottpreisen an die Konzerne verkauft wurden. Es gilt also jetzt, diesen Fehler wieder zu korrigieren und nach dem Debakel des geplatzten Mietendeckels endlich wieder einen reellen Schritt für bezahlbaren Wohnraum zu tun.
Im Optimalfall wird die Berliner Initiative sogar zum Vorbild für weitere Teile in Deutschland, die auch zu stark von den Wohnungsgiganten besetzt sind. Natürlich bildet die Hauptstadt ein günstiges Terrain, um mit derartigen Ideen Erfolg zu haben, doch bei einer geglückten Vergesellschaftung werden die positiven Auswirkungen nicht von der Hand zu weisen sein. Der Begriff der Enteignung muss allgemein positiver konnotiert werden, denn es handelt sich nicht um Diebstahl, sondern um eine Rückführung in die öffentliche Hand mitsamt Entschädigung. Niemand mit Eigenheim oder einer vermieteten Zweitwohnung muss jetzt befürchten, dass er:sie bald Opfer des Staates wird. Mehr als die Hälfte der Deutschen wohnt zur Miete, in Berlin sind es sogar über 80 Prozent, die die Enteignungen vielleicht bald schon zum Teil im eigenen Portemonnaie spüren werden.
:Henry Klur
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